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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0195
Alfons Bilharz

spaltet. Diese Spaltung, die Seinsgrenze des Subjectes, gedacht wie eine Schnittfläche
, ist zweiseitig, ist Grenze des Subjectes, von innen gesehen, zugleich aber auch
Grenze des Objectiven, anderen Seins draußen. Somit sichert die Erfahrung jener,
der subjectiven Seite bereits die Realitätsgewißheit für die andere, die objective.
Der Mensch empfindet und erfährt sich bereits vor allem Denken als ein begrenztes
und damit bereits über das bloße Sein hinaus bestimmtes, also zweifellos existierendes
Wesen. Vor allem als zeitlich begrenzt, und hier kommt die Zeitlichkeit
des Bewußtseins so tragend ins Spiel wie seither erst wieder bei Heidegger. Darauf
hat Ernst Müller in zwei ausgezeichneten. Aufsätzen über Alfons Bilharz 1935 zu
dessen 10. Todestag sehr richtig hingewiesen.

Dem so als begrenztes existierenden Subject muß ein ebenso reales Seiendes
auf der anderen Seite der Seinsgrenze entsprechen.

So etwa dürfte bei Bilharz die Hauptargumentation für seinen realistischen
metaphysischen Standpunkt ausgesehen haben. Von hier aus versucht er nun
Kants Werk zu verstehen und zu verbessern. Das Grundschema der so entstehenden
Erkenntnistheorie, die Keimzelle sozusagen ist das folgende Schema:

Sein und Denken werden als zwei Koordinatenachsen dargestellt, die das Ich
als Seiendes und Denkendes aufspannen. Oben, an der Seinsgrenze, wird die Empfindungsgröße
in Empfang genommen. Sie ist noch unräumlich, „punktuell" sagt
Bilharz. Sie wird weitergeleitet zum Ichpunkt des Seins, dem Koordinatenursprung
. Dieser ist aber zugleich Ichpunkt des Bewußtseins, und dessen Spontaneität
wird nun in der Richtung des Denkens aktiv und stattet das Recipierte mit der
Räumlichkeit aus und projiziert das Produkt sozusagen an die Wand seiner Innerlichkeit
. So stellt es „der große Künstler Verstand" an, „die Wände unseres irdischen
Kerkers so mannigfaltig und wechselvoll mit Bildern auszutapezieren", wie
die Venetianer die intensiv-unausgedehnte Farbe durch quadratische Mosaikstein-
chen wiedergaben. Sie sehen, Bilharz verwendet gern und oft sehr schöne und originelle
Bilder.

Was hier im Subject geschieht, insbesondere das, was hier Denken genannt
wird, ist bereits ein zeitlicher Vorgang. Die Zeit selbst ist gleichsam eine dritte
Weltachse, senkrecht zur Tafelebene, subjectiv wie der Raum, aber nicht gedacht,
sondern das Denken, auch das des Raumes, erst ermöglichend. Insofern gleichrangig
mit den Achsen Sein und Denken.

Lassen wir es bei dieser allerersten Kostprobe aus dem metaphysischen Gedankengebäude
. Es wird mit Hilfe noch viel komplizierterer geometrischer Vergleiche
und abgewandelter Gleichungen aus der Physik weit ausgebaut, und zugleich werden
mannigfache Beziehungen zur Philosophiegeschichte und zu damals aktuellen
Positionen und Problemen hergestellt. Diesem von Einfällen, Analogien und Bildern
sprudelnden Denker zu folgen ist oft sehr schwer; aber man spürt die große
Begabung und bewundert jedenfalls den zupackenden Einsatz und die Energie.

Zusammenfassend ist zu sagen: Hier spricht ein durch Kant angeregter und
ihn bewundernder realistischer Metaphysiker. Im entscheidenden Punkt aber
trennt er sich von Kant. Während dieser in seiner berühmten „kopernikanischen
Wendung" den Verstand der Natur seine, des Verstandes, Gesetze in Gestalt der
Anschauungsformen und Kategorien vorschreiben ließ, betont Bilharz immer wieder
, das Sein gehe dem Denken voraus, sei nicht dessen Produkt, und eigentlich sei
Kants Wendung deswegen eher als eine ptolemäische zu bezeichnen und müsse für
eine gute Metaphysik wieder zurückgenommen werden. So sei der wahre, koperni-

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