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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0198
Freytag Löringhoff

ken hingegeben, schreibend, solange das Auge die Feder noch immer führen konnte
, oder diktierend, leidenschaftlich am schweren politischen Geschick Deutschlands
teilnehmend, enttäuscht von der Nichtbeachtung seitens der philosophischen
Fachwelt, aber ungebrochen in seinem Selbstbewußtsein, das Muster einer in sich
ruhenden, gütigen, dem Nächsten zugewandten Persönlichkeit. Sie spricht aus seinem
Portrait.

In einer kurzen Autobiographie, die mir Frau Barbara Zwirn zugänglich gemacht
hat, findet sich ein Satz, den ein wirklich verbitterter Mensch nicht hätte
schreiben können: „Seit meiner Pensionierung hatte ich festen Fuß gefaßt: Ich
durfte unter dem Schutze der Blindheit glückliche Tage erwarten, und so war es
auch."

Dieses schöne Wort erleichtert uns, etwas distanziert über die dunkle Seite dieses
Denkerlebens zu sprechen.

Anhänger und Freunde unseres Philosophen haben ihn immer wieder als verkannt
und totgeschwiegen dargestellt und bedauert, und er selbst hat in kräftiger
Sprache sich gegen die philosophische „Zunft" abgesetzt und sie tüchtig gescholten
. Diese Seite seines Lebens verdient genauer untersucht zu werden und könnte
Musterbeispiel für viele, weniger bemerkte ähnliche Schicksale werden. Dazu nur
einige Bemerkungen.

Man könnte einwenden: Immerhin war Alfons Bilharz vergönnt, sein Gedankensystem
umfassend auszubauen und in ausführlicher wie in gedrängter Form
mehrfach zu publizieren, und alle größeren Werke wurden recensiert, also bemerkt
. In seinem Alter wurde er vor der philosophischen Öffentlichkeit geehrt,
und er wird mit einem fast halbseitigen, freilich wohl nicht ganz zutreffenden,
Referat in der 1923 erschienenen Auflage des Überweg, des bedeutendsten Com-
pendiums der Philosophiegeschichte, behandelt. Für jemanden, der als Arzt in
einer damals doch etwas abgelegenen Stadt gelebt hat, ist das doch im ganzen ein
schöner Erfolg. Die Neue Deutsche Biographie bringt seine Biographie neben der
seines Bruders.

Gewiß hätte er etwas mehr Chancen gehabt, beachtet zu werden, wenn er der
„Zunft" angehört hätte. Aber, wie wenige der vielen, vielen Zunftphilosophen seiner
Lebenszeit sind von ihren Kollegen und dem Publikum überhaupt gewürdigt
ja nur zur Kenntnis genommen worden? Wir kennen nur die Namen der arriviertesten
. Bei wie vielen ist es, als seien sie nie dagewesen? Sehr wenigen der guten
Köpfe unter ihnen wird später Ruhm zuteil. Da hat ein krasser Außenseiter wie
Alfons Bilharz sogar bessere Chancen als ein vergessener Kollege einer einst herrschenden
Zunftrichtung, weil die Zunftmeister schon die Zeilen im Buche der
Geschichte besetzt haben. Chancen hat nur, wer dazumal gegen den Strom
schwamm und Gedanken vortrug, die aufzunehmen der Zeitgeist außerstande
war.

Das scheint mir auf die Grundgedanken unseres Philosophen zuzutreffen. Sein
neuer Realismus lief dem Denken der Neukantianer und Idealisten verschiedener
Tönung damals diametral entgegen und mußte den dort geschulten Köpfen auf
den ersten Blick als geradezu primitiver, dogmatischer Rückfall sogar hinter Kant
zurück erscheinen, ganz im Gegensatz zum Titel seiner Streitschrift „Mit Kant
über Kant hinaus". Ihm war nicht gegeben, diesen falschen Eindruck zu zerstreuen
. Zu sehr vertraute er der Durchschlagskraft gewisser Argumente, die er ständig
wiederholte, ohne damit überzeugen zu können. Man schwieg dazu. Besonders

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