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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0210
Neues Schrifttum

ten Kammer zu werden, während gleichzeitig die Nationalliberalen Einbußen hinnehmen
mußten. Zugleich zogen mit Konservativen und Sozialdemokraten neue Gruppen in den
Landtag ein. Das Zentrum unter seinem neuen Führer Theodor Wacker nutzte die Chance
der parteipolitischen Umgruppierung, um kirchenpolitisch nun nach dem Vorbild des Zentrums
in Preußen vom Parlament her weiterzukommen. Mit Hilfe der Demokraten und
Sozialdemokraten, die beide gegen alle Ausnahmegesetze waren, hatte es zunächst auch
Erfolg, freilich nur in der zweiten Kammer, während es an der ersten mit ihrer - dank
des Berufungsrechts des Großherzogs - liberalen Starbesetzung - „mehr von großbürgerlichem
als seigneuraladligem Gepräge" (K. S. Bader in a. a. O. S. 51) - umso sicherer
scheiterte. Die erste Kammer mit dem Großherzog im Hintergrund erwies sich somit als
wahres Bollwerk des semikonstitutionellen Systems. Nicht weniger entmutigend auf den
parlamentarischen Elan des Zentrums sollte sich dann die Bildung des „Großblocks" von
1905 erweisen, eine reine Antizentrumskoalition aus Demokraten, Sozialdemokraten und
Liberalen, die mit Hilfe von Wahlabsprachen eine mögliche absolute Mehrheit des Zentrums
mit Erfolg zu verhindern vermochte. Spätestens hier hätte man fragen können, welches
Vertrauen zu parlamentarischen Institutionen in einer Partei entstehen konnte, die
trotz ihres Rückhalts im Land keinen Fuß auf den parlamentarischen Teppich brachte.
Das Zentrum zog sich denn auch zurück auf „die Regierung über den Parteien", womit
dann wenigstens in diesem Punkt Einigkeit unter den Parteien herrschte. War es eine Anerkennung
für das System, pure Resignation oder einfach das Bedürfnis parlamentarisch
nicht durchschlagskräftiger Parteien nach einer neutralen Schiedsstelle, die von jedermann
anzulaufen war? Für das parlamentarisch ausmanövrierte Zentrum war das letztere unzweifelhaft
richtig, was heißt, daß es wieder weithin auf parlamentarische Aktionen verzichtete
und die Verhandlungen an die Behörden zurückgehen ließ7. Der Weltkrieg schuf
dann noch insofern eine neue Lage, als sich nun plötzlich die Nationalliberalen entgegenkommender
zeigten, aus nationaler Notwendigkeit dem gemeinsamen äußeren Feind gegenüber
, aber doch wohl auch auf Grund einer zunehmenden inneren Radikalisierung, die
es ratsam erscheinen ließ, die „staatserhaltende" Funktion der Kirchen zu honorieren. So
kamen noch 1918 Revisionsgesetze zustande, die zwar immer noch das Prinzip der Staatskirchenhoheit
wahrten, die eigentliche Kulturkampfgesetzgebung aber praktisch annullierten
. Eine Zeit der Bewährung war den Gesetzen dann freilich nicht mehr beschieden. Der
Umsturz fegte sie ebenso weg wie die Staatskirchenhoheit und das monarchische Baden.
Die Regelung, die dann gefunden wurde, ging zurück auf die Paulskirchenverfassung
bzw. die preußische von 1850. Staatsrechtslehrer fanden dafür den Ausdruck „hinkende
Trennung" von Staat und Kirche, zwar Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, aber doch
noch mancherlei gegenseitige Bindungen und Verbindlichkeiten, nicht zuletzt auf Grund
der Zuerkennung des öffentlich rechtlichen Status an die Kirchen 8.

Blickt man nun zurück auf den rund 60 Jahre währenden Streit, auf das enorme Engagement
der Kontrahenten, das gewiß ernst gemeinte und auch notwendige Ringen um
neue Grenzziehungen zwischen Staat und Kirche, aber auch auf manche fruchtlose Prinzipienreiterei
, auf gegenseitige Diffamierung, auf so manchen falschen Zungenschlag und
schiefe Fronten, und berücksichtigt man ferner, daß es gerade die katholische Kirche war,
die seit der Mitte des Jahrhunderts und insbesondere zur Zeit der Reichsgründung die
preußische Lösung anstrebte, so fragt man sich, warum eigentlich nicht gleich so? Doch
eben darüber geben die vorliegenden Arbeiten Aufschluß. Dabei zieht sich als roter Faden
durch alle drei, die übrigens unabhängig voneinander entstanden, ein überzogenes Souveränitätsbewußtsein
des Staates, dem sowohl das Selbstverständnis des alten Obrigkeitsstaates
, seiner Fürsten und seiner Bürokratie zugrundelag, wie auch die liberale, insbesondere
rechtsliberale Staats- und Gesetzesgläubigkeit, der „rechtsmonopolistische Etatismus". Beide
haben eine Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche sowohl auf der Grundlage
von Konkordaten, also von vertraglichen Vereinbarungen zwischen zwei gleichrangigen
Partnern, als auch eine verfassungsrechtliche nach dem preußischen Muster oder gar nach
dem ursprünglich liberalen Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche unmöglich ge-

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