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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0216
Neues Schrifttum

met Schmierer dann viel Aufmerksamkeit. Sie waren von Seiten der Demokraten, insbesondere
ihres Spitzenpolitikers Karl Mayer nicht frei von taktischen Winkelzügen. Vor allem
aber wollte man den Arbeiter mehr als erweiterte Basis, während man sozialpolitisch
wenig zu bieten hatte. So mag es nicht nur die Niederlage der Demokraten während des
deutsch-französischen Krieges gewesen sein, die den Arbeitervereinen eine weitere Option,
nun zugunsten eines Anschlusses an die SDAP, also die Bewegung Bebels und Liebknechts
erleichtert hat. Freilich blieben sie auch jetzt noch auf Distanz zu einer Bewegung, die
ähnlich den Lassalleanern, zunächst keinen Zugang in Württemberg gefunden hatte.

Schmierer schildert dies alles in lesbarem Stil und guter Gliederung. Er geht zudem ins
Detail, wenn er die einzelnen Arbeitervereine vorstellt oder auf Seitentriebe wie die Anfänge
der Gewerkschaften und die ersten Streiks eingeht. Gesamteindruck: Es ging langsam
voran im Schwäbischen. Eine eigene Sozialstruktur, das Spezifikum des „Arbeiterbauern
", die Dominanz liberal-demokratischen Denkens, schwäbischer Eigensinn, der auch die
Arbeitervereine auf Eigenständigkeit beharren ließ, die landfremden Agitatoren, die zwar
manches überhaupt erst in Gang brachten, aber doch nicht recht ankamen, dann die Radikalität
der Lassalleaner und etwas später auch der Bebel-Liebknechtschen Vereine, die
abschreckte, so etwa die von Bebel und Liebknecht aus dem Programm der IAA, also Marxens
Internationaler Arbeiterassoziation übernommene Forderung nach Bildung von Agrar-
assoziationen, die den Vereinen die ländlichen Gebiete verschloß, und nicht zuletzt eine
duldsame Haltung der Regierenden, die eine Solidarisierung von Verfolgten verhinderte.
Erst als sich dies mit dem Sozialistengesetz änderte, sollte dann auch der Aufstieg der Sozialdemokratie
in Württemberg einsetzen. Der wichtigste Aspekt von Schmierers Arbeit
schließlich ist die Betonung des liberal-demokratisch und sozial-reformerischen Kurses der
württembergischen Vereine, womit sich freilich die einiger Überlegung werte Frage verknüpft
, ob die Arbeiterbewegung in Württemberg nicht hätte einen Weg weisen können,
der ihr mehr eingebracht hätte, ein Modell, das weniger Angriffsflächen geboten, weitere
Bevölkerungskreise erreicht, früher koalitionsfähiger gemacht und so auch erhebliche
Rückwirkung auf Staat und Gesellschaft gehabt hätte.

Die im Württemberg der Jahre 1848 bis 1871 zahlenmäßig bedeutendste, im Endeffekt
freilich wenig erfolgreiche politische Gruppierung war die der Demokraten. Zwei Arbeiten
befassen sich mit diesen, eine von Werner Boldt für die Jahre 1848 bis 52 und für
die Zeit von 1864 bis 71 von Gerlinde Runge. Von den beiden versucht namentlich Boldt
die Bewegung an der Wurzel zu fassen, an den „Volksvereinen", die unmittelbar aus der
Bevölkerung heraus entstanden und demgemäß auch ein eigenes Selbstverständnis hatten.
Der Ansatz von Boldt ist somit ein betont sozialwissenschaftlicher. Dies bedingt wohl
auch, daß er nicht einfach den Ereignissen folgt, sondern nach bestimmten Gesichtspunkten
gliedert. So verfolgt er in einem ersten Teil die Entstehung und Entwicklung der
Volksvereine bis zu ihrem Verfall bzw. Verbot 1852, in zwei weiteren, dann mehr systematischen
untersucht er Aufbau, Organisation, Verbreitung, soziale Zusammensetzung von
Mitgliedschaft und Führungsschicht der Vereine und in einem letzten und wohl wichtigsten
die Stellung der Volksvereine im Verfassungsstaat, darunter auch das prekäre Verhältnis
von Verein und Partei. Ein solches Vorgehen erlaubt ihm, sehr dicht an der jeweils
gestellten Frage zu bleiben, zum andern führt es aber auch zu Wiederholungen, da er immer
wieder auf das aktuelle Geschehen zurückgreifen muß, das nun einmal für das Auf
und Ab der Vereine von entscheidender Wichtigkeit war. Und an politischen Ereignissen
und Überraschungen, die zu Aktion und Reaktion, zu Teilnahme oder Abstinenz und vor
allem auch zu eigener Standortbestimmung, also zur „Theoriediskussion" herausforderten,
hat es in den Revolutionsjahren ja nicht gefehlt. Als prekärste Fragen sollten sich dabei
die nach der angestrebten Staatsform erweisen, ob Republik oder Arrangement mit der
Monarchie auf demokratischer Grundlage, dann das Verhältnis zu den Liberalen und
schließlich das zu Preußen. Als wichtigstes Ergebnis der Arbeit dann doch wohl der Versuch
, Standort und Selbstverständnis der Vereine in Staat und Gesellschaft zu bestimmen.
Die Volksvereine, nach Boldt der Versuch, die direkte Demokratie an die Stelle des seithe-

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