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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1976/0217
Besprechungen

rigen Verwaltungsstaates, aber auch - auf die Zukunft gesehen - an die Stelle der parlamentarisch
-repräsentativen Demokratie zu setzen. Der Versuch scheiterte aus sich selbst
heraus, am Anspruch der Vereine, umfassender und alleiniger Integrationsfaktor der Gesellschaft
zu sein, also an ihrem „demokratischen Monismus", der zwangsläufig auf die
Pluralität der Gesellschaft stieß, die sich als stärker erweisen sollte, ferner am Problem
der Herrschaftsbildung und Herrschaftsausübung, womit sie auf Partei und Fraktion mit
ihrem Anspruch stießen, zwar im Namen des Volkes, nicht aber in einem in Vereinen vororganisierten
zu regieren. Anspruch also gegen Anspruch, was u. a. seinen Niederschlag
darin fand, daß die Partei die Vereine teils auszuschalten, teils in eine der Partei dienende
Funktion herabzudrücken suchte. Wie sehr dann die Zukunft dem Repräsentativprinzip,
damit der Parteiendemokratie gehören sollte, wird schon bei Gerlinde Runge deutlich.
Obwohl vom selben Ansatz ausgehend, tauchen nicht mehr die Volksvereine, sondern die
Volkspartei in ihrem Titel auf. Dieser Wandel wirft einige Fragen auf. Das Beeindruk-
kendste an Boldts Arbeit ist die enorme Politisierbarkeit weitester Bevölkerungskreise und
ihre spontane Umsetzung in die Organisationsform der Vereine, ein Vorgang, der nur
haltmachte vor Landschaften mit erschwerter Kommunikationsmöglichkeit (Weilerbesiedlung
etwa). Es scheint ferner zu stimmen, daß das Ausmaß der Politisierung wie die Dichte
des Netzes von Vereinen im Bereich der deutschen Länder einmalig waren. Die Frage
wäre also, woher das? Man wird wohl davon auszugehen haben, daß nicht alles, was sich
1848 radikal gebärdete, auch modernen Antrieben entsprang. Dazu kommt, daß das
Württemberg von 1848 ein rückständiges und in seinem ganzen Charakter ländlich bestimmtes
Land war. So dürfte sich hinter der fast generellen Politisierungsbereitschaft
noch viel überkommene Renitenz des „gemeinen Mannes" verborgen haben, auch wenn
sich diese nun der relativ jungen Form der Vereine aus dem Vormärz bediente. Wenn dem
aber so war, dann reichten Antriebe und das ihnen adäquate Anliegen der direkten Demokratie
- auch sie ja, etwa von der benachbarten Schweiz her gesehen, nicht gerade etwas
Neues - in eine Zeit hinein, in der sich bereits andere Formen der Herrschaftsausübung
und gesellschaftlicher Formationen abzeichneten, was heißt, daß sie dann auch in dem
Maß zurücktreten mußten, als sich der Staat modernisierte, die Industrie die Gesellschaft
veränderte, was in Württemberg dann relativ schnell geschah. Schon zwanzig Jahre später
sah die politische Landschaft denn auch anders aus. Zwar entstanden - und das wäre
nun die Arbeit von Runge - auch jetzt noch einmal Volksvereine, aber weit weniger
zahlreich, weit weniger das Land beherrschend und sich nach oben durchsetzend, sondern
bereits und zunehmend als verlängerter Arm einer Partei, der Volkspartei, die sich zudem
nicht ohne Erfolg auf den Weg zu einer modernen Partei gemacht hatte. Runge interessiert
sich denn auch vorrangig für die Partei, ihre Organisation, ihre Führung und Presse,
ihre Ziele, ihre Kontakte und Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen wie auch mit
der Regierung. Ihren Höhepunkt sollte sie nach 1866 in der Auseinandersetzung mit der
Deutschen Partei, die den Anschluß Süddeutschlands an den Norddeutschen Bund propagierte
, und mit Preußen erreichen. In diesem Zusammenhang kam es Anfang der 70er Jahre
auch noch einmal zu einer erstaunlichen Wiederbelebung der Volksvereine. Anlaß die
von den Demokraten angefachte Agitation gegen die auch von Württemberg übernommene
preußische Wehrverfassung mit der Gegenforderung nach Volksbewaffnung und Miliz.
Es hat den Anschein, als ob hier die Führer der Demokratie dem Volk noch einmal aufs
Maul geschaut hätten. Wenig später sollten sie es dann verlieren. Sieht man nun die beiden
Arbeiten zusammen, so ist wohl festzustellen, daß es offensichtlich nicht gelungen ist,
jene 1848 so imposant zutagegetretene populäre Grundsubstanz der Demokratie in eine
breite und tragfähige Basis eben auch der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie
und damit auch einer demokratischen Volkspartei zu transformieren. Waren es nur die
Siege über Frankreich, die das Volk der demokratischen Partei abspenstig machten, oder
müßte man doch etwas stärker nach dem geistigen Habitus und dem sozialen Standort der
Volkspartei und besonders ihrer führenden Köpfe fragen? Karl Mayer war Journalist von
hohem intellektuellem Rang, nicht selten eigensinnig und rechthaberisch, Ludwig Pfau Li-

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