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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1978/0088
Press

Erst 1789/90 setzten die Aktivitäten der Untertanen erneut mit voller Wucht
ein; Versammlungen häuften sich trotz der Verbote, die Unruhe war allenthalben
mit Händen zu greifen Natürlich ist dieser Vorgang nicht von den Ereignissen
der Französischen Revolution zu trennen und zwar aus zwei Gründen: die Anfangsphase
der großen Revolution in Frankreich wurde im übrigen Europa noch
ganz als Ständekampf gesehen, sogar in Kreisen der Reichsritterschaft85. Neuerdings
hat der amerikanische Historiker Robert Palmer versucht, die französischen
Ereignisse seit 1789 einzureihen in eine allgemeine Bewegung der westlichen
Zivilisation, die eine Renaissance der ständischen Kräfte bedeutete - die amerikanische
Revolution gehört nach Palmer ebenso in diese Entwicklung wie die
Bürgerkonflikte in Genf oder die Oppositionsbewegung gegen Kaiser Josef II.M
Palmer ist vor allem von marxistischen Historikern scharf kritisiert worden.
Tatsächlich dürfte er auch den gewaltigen qualitativen Umschlag, die Sprengkraft
der großen Französischen Revolution unterschätzt haben. Dennoch trifft
seine Beobachtung der Verstärkung der korporativen Kräfte im letzten Drittel
des 18. Jahrhunderts auch für das Heilige Römische Reich zu. Die Gründe dafür
dürften vielfältig gewesen sein. Einmal hatte der Absolutismus nicht nur seinen
Zenit überschritten, sondern es wurden auch seine entscheidenden strukturellen
Schwächen enthüllt, von der Immobilität eines bürokratischen Zentralismus, von
den vielfach unkontrollierten Effekten einer bloß kameralistischen Wirtschaftspolitik
bis hin zu der häufig schmerzhaften Erfahrung, daß die Mentalität der
Untertanen ein zwar oft irrationaler, aber doch in die politischen Überlegungen
einzubeziehender Faktor war. Die Schattenseiten eines Regierens ohne und gegen
die Untertanen waren inzwischen manchen größeren und kleineren Despoten zur
Erfahrung geworden. Hinzu kamen nicht zuletzt Entwicklungen der politischen
Ideen, die mit diesen Vorgängen stark korrespondierten: naturrechtliche Vorstellungen
haben im Zuge der Aufklärung eine beachtliche Rolle gespielt und
vielfach die Reformversuche tief beeinflußt

Das Alte Reich gab überdies einen Boden ab, der der korporativen Renaissance
keineswegs ungünstig war. Bildeten doch der Kaiser und sein Reichshofrat,
aber auch das von ihnen immer wieder stark beeinflußte Reichskammergericht in
Wetzlar eine wichtige Bremse für den Absolutismus der deutschen Fürsten28. Es
war eine alte Praxis des Reichshofrats, innerterritoriale Konflikte auszubalancieren
. Zunehmend gewann er dadurch Einfluß auf die Geschehnisse innerhalb
der deutschen Staaten. So dürfte die These von der Schwächung des Reiches nach
1648 auch von dieser Seite her als Legende zu enthüllen sein; vielmehr läßt sich

" StAS, Ho 1-46, C II 2 b, 141.

15 Vgl. V. Press: Die Reichsritterschaft im Reich der frühen Neuzeit. In: Nassauische

Annalen 87. 1976, S. 122.
*° R. Palmer: The Age of the Democratic Revolution, a Political History of America and

Europe, 2 Bde. 1959.

" Dazu: Aufgeklärter Absolutismus, hrsg. v. K. O. Freiherr von Aretin (Neue Wissenschaftliche
Bibliothek 67). 1974.

88 R. Smend: Das Reichskammergericht (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte
des deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 4.3). 1911. O. v. Gschließer: Der
Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten
Reichsbehörde von 1559 bis 1806. 1942.

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