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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1978/0222
Ziegler

Stande, das Herz des Menschen zu ergründen? Man stößt auf so vieles Hinkende,
daß auch dies dem beigestellt werden kann.

Nicht verlassen darf man aber die wenigen vorhandenen Fabriken, ohne daß
eine sehr ernste Mahnung über die Beschäftigungsart der Arbeiter an sie ergeht.

Es ist gegen alles menschliche Gefühl, die Arbeiter, die für Tagelohn arbeiten,
wie es fast allgemein geschieht, so lange zu beschäftigen und ihnen bei einer täglichen
Beschäftigung von fast vierzehn Stunden kaum Zeit gönnt, ihr karges
Mahl zu sich zu nehmen. Wo die Sklaverei noch getrieben wird, gönnt man dem
Sklaven die gehörige Ruhe, damit er mit erneuter Kraft seine Arbeit verrichten
kann; man weiß, wenn ihm die nötige Ruhe nicht gegönnt wird, daß er in wenigen
Tagen außer Stande ist, irgend etwas tun zu können, und wenn er dennoch
dazu getrieben würde, so würde die Arbeit entschieden als eine verdorbene betrachtet
werden müssen, weil ihm die Kraft fehlt, sie, wie sie sein müßte, auszuführen
.

Eine übermäßige Kraftanstrengung hat keinen Nutzen, wohl aber führt sie
den größten Nachteil für den Unternehmer mit sich. Jeder Fabrikbesitzer wird
finden müssen, daß wenn er seine Arbeiter 12 Stunden inclusive 2 Stunden
Ruhe /: Vormittags Mittags 1, nachmittags */* Stunde:/ beschäftigt, daß im
Laufe einer Woche bedeutend mehr und in vorzüglicherer Qualität gefertigt
wird, als wenn in den ersten Tagen der Woche die Arbeitskraft seiner Arbeiter
durch übermäßige Kraftanstrengung gelähmt ist. - Wie kann der Gesundheitszustand
bei solch einem Sklavendienst sein?

Wenn dieser Nachteil, der - wenn auch nicht in dem Maße — den Arbeitgeber
ebenso als den Arbeiter trifft, von dem Unternehmer nicht eingesehen wird, er
folglich gegen sein eigenes Interesse wütet und einem Unmündigen gleich erscheint,
so ist die Staatsgewalt nicht allein berechtigt, sondern verpflichtet, einen an sich
schädlichen Verkehr zum Besten einer Bevölkerung zu beschränken und zu regulieren
15.

Unzurechnungsfähig ist der Mensch, der, um den Hungertod von sich abzuhalten
, zu einer solchen Beschäftigung einen Vertrag macht; es ist keine rechtswidrige
Verletzung des Eigentums und der Personen, wenn die Staatsgewalt in
diesem Falle die Privatindustrie beschränkt, ja es muß im Interesse des Eigentums
als eine Pflicht betrachtet werden; denn was besitzt der Arbeiter weiter, als die
Kraft?

In gleicher Weise möge die Reinhaltung der Arbeitssäle zu empfehlen sein,
die auf den Gesundheitszustand der Menschen von großem Einfluß ist; es wollte

15 Die Vorstellungen Reichenheims können abgeleitet sein aus entsprechenden gesetzlichen
Regelungen in England (1847), mit denen der 10-Stunden-Arbeitstag eingeführt wurde.
Die Diskussion über zumutbare und sinnvolle Arbeitszeiten dauerte über das Kaiserreich
hinaus, bis 1923 gab es keine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit für männliche
Arbeitnehmer.

Bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts arbeiteten Männer in Deutschland
durchschnittlich elf bis elfeinhalb Stunden/Tag (vgl. Kuno Frankenstein: Der Arbeitsschutz
. Seine Theorie und Politik, Leipizg 1896). Am 1. Mai 1890 wurde erstmals die
Forderung nach dem Acht-Stunden-Arbeitstag gestellt; Robert Bosch führte 1894 den
Neun-Stunden-Tag, 1906 den Acht-Stunden-Tag ein. Erst 1938 wurde mit der Arbeitszeitverordnung
die letztere Regelung auf Reichsebene verbindlich für alle Arbeitnehmer.

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