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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1979/0203
Besprechungen

Peter Borscheid: Textilarbeiterschaft in der Industrialisierung. Soziale Lage und Mobilität in
Württemberg (19. Jahrhundert). Stuttgart: Klett-Cotta 1978.584 S. (Industrielle Welt. Band25).

Borscheid hat anhand von fünf unterschiedlich strukturierten Regionen Württembergs, in erster
Linie dem städtischen Eßlingen und dem ländlichen Kuchen, die sozialen Verhältnisse und die
Mobilität der Textilarbeiterschaft für die Zeit des 19. Jahrhunderts untersucht. Als Quellen
benutzte er die behördlicherseits angeordneten Vermögensaufstellungen anläßlich von Heirat und
Ableben, die sog. Inventuren und Teilungen, die in solcher Menge vorliegen, daß sie nur mit Hilfe
der EDV auszuwerten waren. Es hegt auf der Hand, daß diesem Material Stand und Entwicklung
der Vermögenslage einzelner wie ganzer Gruppen relativ exakt zu entnehmen war und, da die
Unterlagen auch Angaben zur Person enthalten, überdies zuverlässige Aufschlüsse über die
Herkunft der Arbeiter, über Orts- und Berufswechsel - wesentlicher Teil der Mobilität -, über
Ehefrauen und Kinder, über Gattenwahl, Heiratsgut u. a. zu gewinnen waren. So konnte Borscheid
eine bisher nicht gekannte Fülle von Daten, die er zusätzlich in unzähligen Tabellen und
Schaubildern aufarbeitete, wie auch neue Erkenntnisse vor allem zur Frage der sozialen Mobilität
vorlegen. Insofern handelt es sich um eine wegweisende Arbeit, die es, hegen erst weitere dieser An
vor, erlauben dürfte, sich auf einer wesentlich breiteren Datengrundlage mit der Arbeiterschaft und
der Industriegesellschaft überhaupt zu befassen. Wenn man trotzdem Bedenken anmelden darf, so
vielleicht die: Einmal fragt man sich, warum es Borscheid über Gebühr vermieden hat, vom sozialen
Bereich auch mal in den politischen umzuschalten, also etwa gerade von seinen Daten und
Einsichten her wenigstens gelegentlich einen Hinweis darauf zu geben, ob, ab wann, in welchem
Ausmaß sich eine Arbeiterschaft, die an Ansehen und Einkommen so tief stand, politisch, in diesem
Fall für die Arbeiterbewegung aktivieren ließ. Dann scheint ob der vielen Daten, die zudem noch -
wenigstens auf die lange Sicht gesehen - einen unbestreitbaren Fortschritt signalisieren, die
menschliche Seite des Arbeiterdaseins zu sehr in den Hintergrund geraten, ja manches geglättet zu
sein. Mit am beeindruckendsten dann auch jene Partien, wo anhand der auch im Anhang
abgedruckten Fabrikordnungen dieser Aspekt erschreckend deutlich wird, etwa in der geradezu
unmenschlichen Dressur, die für nötig erachtet wurde, um die Menschen jener Zeit entgegen allen
bisherigen Lebensgewohnheiten erst einmal fabriktauglich zu machen. Nur, diese Partien kommen
ohne Tabellen aus. Damit zu den Daten. Namentlich für den Sozialwissenschaftler erweist sich der
Computer zunehmend als ein unentbehrliches Arbeitsinstrument, mit dessen Hilfe auch Bereiche
aufzuarbeiten sind, die bisherigen Arbeitsmethoden nicht oder nur unter größtem Aufwand
zugänglich waren. Was dabei herauskommt, sind naturgemäß erst einmal Zahlen. Die Gefahr
besteht, daß die Rezeption einer solchen Arbeit nicht über den engen Kreis der Spezialisten
hinauskommt, und daß ferner Dinge wie hier die Textilarbeiterschaft allzu leicht und einseitig auf
eine Datenbank kommen, wo dann gerade die menschliche Seite zu kurz kommt. Die Aufgabe des
Autors wäre es dann, dem in der Auswertung der Daten, also im Text, entgegenzuwirken. Daß dies
möglich ist, sei Borscheid bescheinigt, freilich auch, daß es im Blick auf den Leser und mit etwas
mehr Mut, gerade bei einem Thema, das so zentral für das Jahrhundert der Industrialisierung ist,
etwas mehr über den Zaun der vorgegebenen Themenstellung zu blicken, noch besser zu machen
wäre. Im Ganzen somit eine Arbeit, reich an Auskünften und Erkenntnissen, lehrreich hinsichtlich
der Inanspruchnahme der EDV, zu eng freilich beim Thema bleibend und in der Darstellung zu
unterkühlt. - Abschließend sei noch auf den in derselben Reihe erschienenen Sammelband
hingewiesen: Arbeiter im Industrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage und Verhalten. Hrsg. von
Werner Conze und Ulrich Engelhardt. Stuttgart: Klett-Cotta 1979. 513 S. (Industrielle Welt. Bd.
28). Die Aufsätze führen auf hohem Niveau an die Thematik heran, zeigen zugleich, daß da ein
Forschungsbereich mit Ergebnissen bearbeitet wird, die ideologische Voreingenommenheiten so
nicht bringen könnten.

Mainz Hugo Lacher

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