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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1981/0020
Elbs

zu primitiven Gesellschaften, »die keine exploitierende Klasse kennen und in den
sozialen Formen der Horde oder des Stammes organisiert sind« existieren nämlich in
bäuerlichen Gesellschaften gesellschaftliche Schichten oder Klassen, die als Inhaber der
politischen Gewalt Ansprüche auf einen Teil der bäuerlichen Arbeitserträge erheben20.
Diese Surplusabschöpfung und die herrschaftlich-politischen Eingriffsmöglichkeiten
bestimmen die bäuerliche Produktion jedoch nicht vollständig. Trotz der dadurch
gesetzten Einschränkungen besitzt nämlich der Bauer die faktische Verfügungsgewalt
über Einsatz und Nutzung seiner Produktionsmittel und organisiert seine wirtschaftliche
Tätigkeit entsprechend der oben angedeuteten Ziele.

Versuchen wir nun ausgehend von dieser Definition des Bauern den Begriff der
bäuerlichen Gesellschaft systematisch zu entfalten.

Die grundlegende soziale Einheit ist der bäuerliche Haushalt, der vor allem dadurch
charakterisiert ist, daß er Produktions- und Konsumtionseinheit zugleich ist. Die
Produktionstätigkeit ist daher bezogen auf die Befriedigung der Bedürfnisse des
bäuerlichen Haushalts, woraus ein wirtschaftliches Verhalten resultiert, das als durch ein
»safety first principle«21 reguliert beschrieben werden kann: Oberstes Ziel der Produktion
ist nicht ein möglichst hoher, sondern ein möglichst sicherer Ertrag. Dies hat
wirtschaftliche Praktiken (»risk avoiding strategies«22) zur Folge, die darauf abzielen,
Risiken in der Produktion, wie sie sich vornehmlich aus den klimatisch-ökologischen
Bedingungen ergeben, klein zu halten oder nach Möglichkeit ganz zu überwinden.

Als derartige »risk avoiding strategy« läßt sich zum Beispiel die in Mitteleuropa seit
dem hohen Mittelalter weithin verbreitete Dreifelderwirtschaft beschreiben. Zum einen
wird durch die im Jahresrhythmus rotierende Brachlegung von einem Drittel der
bewirtschafteten Fläche eine Stabilisierung der Jahreserträge auf allerdings niedrigerem
Niveau erreicht, zum anderen hat die Aufteilung der übrigen Saatfläche in Winter- und
Sommersaat außer der Vermeidung von Arbeitsbelastungsspitzen (die sich durch die
Kumulation von Saat- und Ernteterminen ergeben würden) auch einen risikovermindernden
Effekt: Fällt aufgrund eines strengen Winters die Winterfrucht aus, so verbleibt
immer noch die Sommerfrucht.

Bei dieser Betonung der Rückgebundenheit bäuerlicher Produktion an die Subsi-
stenzsicherung des bäuerlichen Haushalts (>travailler pour se nourrir<; Henri Mendras)
ist jedoch zu beachten, daß diese Bedürfnisse nicht lediglich auf eine physische
Reproduktion der Produzenten begrenzt sind. Vielmehr schließt die >existenzielle
Reproduktion^3 auch notwendige Aufwendungen für die sozialkulturelle Reproduktion
ein. Über den >caloric fund< für die rein physische Subsistenzsicherung und den
>replacement fund<, der die für die Wiederholung des Produktionsprozesses notwendigen
Mittel umfaßt, hinaus ist also ein >ceremonial fund< notwendig24: für die Finanzie-

" Maurice Godelier, Anthropologie und Ökonomie, in: Ders., Ökonomische Anthropologie.
Reinbek 1973, S. 43.

20 Wolf, Peasants (wie Anm. 17), S. 3 f.; ähnlich Scott, Moral Economy (wie Anm. 17), S. 157;
David W. Sabean, The Communal Basis of Pre-1800 Peasant Uprisings in Western Europe, in:
Comparative Politics 8 (1976), S. 356; Kurt Greussing/Jan-Heeren Grevemeyer, Peasant
Society: Organisation - Krise - Widerstand, in: Mardom Nameh. Hefte zur Geschichte und
Gesellschaft des Mittleren Orients 3 (1977), S. 90 ff.; Shanin, Nature and Logic (wie Anm. 17), S.
75 ff.

21 Scott, Moral Economy (wie Anm. 17), S. 12 ff.

22 Scott, Moral Economy (wie Anm. 17), S. 12 ff.

23 Greussing/Grevemeyer, Peasant Society (wie Anm. 20), S. 90.

24 Wolf, Peasants (wie Anm. 17), S. 4 ff.

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