Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1981/0021
Owingen 1584

rung religiöser Zeremonien, für sozial vorgeschriebene Aufwendungen bei Hochzeit,
Taufe, allgemein für die Erfüllung der durch soziale Normen verbindlich gemachten
Aufwendungen, aber auch für die angemessene Repräsentation eines tatsächlichen oder
auch nur beanspruchten sozialen Status innerhalb der lokalen Gesellschaft.

Nun produziert und reproduziert sich der bäuerliche Haushalt jedoch nicht isoliert,
sondern ist vielmehr auf lokaler Ebene in der Regel Teil eines Dorfes, auf regionaler
Ebene Teil einer ihn umgebenden und Anspruch auf einen Teil seines Surplus erhebenden
Gesellschaft.

Für das Deutschland der frühen Neuzeit bedeutet dies, daß sich vor allem der Adel als
Inhaber der politischen Gewalt unter verschiedenen Rechtstiteln (Grundherrschaft,
Leibherrschaft, Gerichtsherrschaft, die mit der Landeshoheit verbundene Steuerhoheit
usw.) einen Teil des bäuerlichen Surplus aneignet. Dabei ist zu bedenken, daß die
Vielzahl und Verschiedenartigkeit dieser Rechtstitel eine weite Aufsplitterung derartiger
Rentenansprüche ermöglicht: »Die Möglichkeit der Trennung bzw. Verbindung von
ökonomisch, räumlich, rechtlich-politisch, religiös und sozial festgelegten Rentenansprüchen
und den Instrumenten ihrer Durchsetzung läßt erkennen, welch komplexes
Distributionsgefüge des direkt angeeigneten ländlichen Surplus charakteristisch für die
>feudale< Produktionsweise im vorindustriellen Europa ist: die Koexistenz von Appro-
priations->Aggregaten< verschiedenster Dichtigkeit und Größe sowie ständige aktuelle
und längerfristige Verschiebungen ihrer Grundlagen«25.

Ausgehend davon läßt sich die Verwendung des herrschaftlich angeeigneten Surplus
wie folgt beschreiben. Neben produktivem und auch für die Bauern eine positive
Bedeutung besitzendem Konsum des Mehrprodukts, z. B. in Form des Unterhalts von
Straßen, der Gewährung von Schutz und Schirm usw. und der Verwendung für die
Sicherung und den Ausbau von Herrschaft, z. B. Finanzierung des Herrschaftsapparates
usw., dient der abgeschöpfte Surplus als Versorgungsgrundlage der Herrschaft und wird
verausgabt in herrschaftlichem Prestigekonsum.

Dieser auf den ersten Blick unproduktiv scheinende Konsum der Herrschaft in Form
von Hoffesten, herrschaftlicher Bautätigkeit, allgemein herrschaftlicher Prachtentfaltung
, stellt jedoch auch eine Form von »Investition in bestehende Herrschaft« 26 dar. Als
»Theater der Macht«17, als Teil der kulturellen Hegemonie dient er dazu, von herrschaftlicher
Seite in symbolischer Form und idealischer Überhöhung Definitionen der
gesellschaftlichen Realität vorzuführen und als allgemeinverbindlich zu propagieren. Als
Veranstaltung zur Sicherung der Legitimation von Herrschaft hat der scheinbar unproduktive
Prestigekonsum aus der Perspektive der Herrschaft durchaus seine produktive
Funktion.

Diese kulturelle Hegemonie besitzt jedoch in der relativen Autonomie des Dorfes28

25 Kuchenbuch/Michael, Zur Struktur und Dynamik der >feudalen< Produktionsweise im
vorindustriellen Europa, in: Diess. (Hgg.): Feudalismus. Materialien zur Theorie und
Geschichte. Frankfurt/M. 1977, S. 716f.

26 Greussing/Grevemeyer, Peasant Society (wie Anm. 20), S. 91.

27 Gerald M. Sider, Bande, die zusammenhalten. Kultur und Agrikultur, Eigentümlichkeit und
Eigentum in der Dorffischerei Neufundlands, in: Berdahl/Lüdtke/Medick et al., Klassen und
Kultur. Die sozialanthropologische Perspektive in der Geschichtsschreibung. Frankfurt/M.
1981. Dieser Essay enthält außerordentlich wertvolle Überlegungen zum Problem der Interpretation
von Kultur und kultureller Hegemonie.

28 Zur relativen Autonomie des Dorfes vgl. insbesondere Mendras, Un Schema (wie Anm. 17), S.
81 ff., sowieDers., Schemasd'analyse villagoise, in: MarcelJollivet(Hg.), Societespaysannes
ou lutte de classe au village? Paris 1974, S. 39-58 passim.

19


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1981/0021