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Elbs

als einer umfassenden Lebensform einen Gegenpol. Dieses ist nämlich zwar in seiner
Sozialstruktur in wesentlichem Umfang durch die Größe und Zahl der aufgrund
grundherrschaftlicher Verfügungsgewalt verliehenen Lehen bestimmt und auch im
Umfang und der Ausgestaltung des dörflichen Entscheidungsraumes durch die verschiedenen
herrschaftlichen Befugnisse und die als Folge derselben (teilweise im Dialog mit
den Dorfgenossen) fixierten Rechtsnormen (Landesordnungen, Dorfordnungen, Weis-
tümer usw.) eingegrenzt, stellt aber doch in weiten Bereichen einen durch die Herrschaft
wenig tangierten Raum dar.

Als Kernbereich dieses dörflichen Entscheidungsraumes kann wohl der gesamte
Komplex von Regelungen und Absprachen, aber auch Sanktionsbefugnissen gelten, der
sich notwendigerweise aus der begrenzten Kooperation und kollektiven Absprache im
Arbeitsprozeß zwischen den einzelnen bäuerlichen Haushalten ergibt. Konkret gewendet
bedeutet dies im europäischen Kontext ab dem hohen Mittelalter: Mit der Verzelgung
der bewirtschafteten Fläche und dem daraus resultierenden Flurzwang sowie aufgrund
der vielfältigen Abstufungen der Nutzungsberechtigungen 29 - vom gänzlich von Mitnutzungsansprüchen
befreiten Garten über den zwar individuell genutzten Acker, der aber
nach der Ernte der Beweidung durch die Dorfgenossen offensteht und auch dem
Flurzwang unterliegt, bis zur kollektiv genutzten Allmend - wird ein vielfältiges System
kollektiver Absprachen und insbesondere kollektiver Terminierung der einzelnen
Arbeitsprozesse notwendig. Um dies an einem Einzelbereich zu verdeutlichen: Da die
mittelalterliche Dreifelderwirtschaft aus verschiedenen Gründen mit einem Minimum an
definitiv festgelegten und so aus der Bewirtschaftung ausgeschiedenen Wegen auszukommen
versucht, bedarf sie eines komplizierten Systems von Überfahrtsrechten und
Überfahrtsverboten, in welchem die Interessen und Ansprüche der einzelnen bäuerlichen
Haushalte zum Ausgleich gebracht werden müssen.

Dieser von der Herrschaft wenig tangierte Raum, in dem sich die bäuerliche
Produktion gemäß der ihr eigenen Rationalität in kollektiver Absprache und begrenzter
Kooperation vollzieht, ist auch der Erfahrungsraum, in dem sich die normative Kultur
der bäuerlichen Bevölkerung konstituiert. Hier nämlich können die sich aus der
Rückgebundenheit der Produktion an die Bedürfnisse der Produzentengruppen, d. h.
der bäuerlichen Haushalte, ergebenden Orientierungen in der Interaktion der Dorfgenossen
zu sozial verbindlichen Normen werden und sich so zur normativen Kultur der
bäuerlichen Bevölkerung verdichten30.

Diese normative Kultur der Bauern vermag insbesondere Begriffe von gerechter
Herrschaft und gerechter Ökonomie zu enthalten, die sich in ihrem Inhalt wesentlich
konstituieren aus einer Rückbeziehung des gesellschaftlich Gegebenen wie auch des als
gesellschaftlich ideal Angesehenen auf die Bedürfnisse der Bauern und die darauf
aufbauende und auf diese orientierte ökonomische und lokalgesellschaftliche Organisa-

29 Ausführlich und grundlegend dazu Karl S. Bader, Rechtsformen und Schichten der Liegenschaftsnutzung
im mittelalterlichen Dorf. (= Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen
Dorfe III) Wien-Köln-Graz 1973, S. 1-16 und passim.

30 Vgl. dazu insbesondere James C. Scott, Protest and Profanation: Agrarian Revolt and the Linie
Tradition, in: Theory and Society 4 (1977), S. 1-38, S. 211-249 passim. Dabei ist jedoch gegen
den sich hinter dem Begriff der >little tradition< verbergenden emphatischen Kulturbegriff, wie er
insbesondere für die verschiedenen Arbeiten von R. Redfield kennzeichnend ist, mit Henri
Mendras geltend zu machen: »Un certain nombre des caracteristiques qu'il met en valeur (...)
ont ete mentionnees plus haut comme la codification ideologique des exigences fonctionelles de
l'economie paysanne ou du group domestique.« Mendras, Un Schema (wie Anm. 17), S. 136.

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