Freiburger historische Bestände - digital

Elbs

Doch dieser Eindruck dörflicher Solidarität erweist sich bei genauerer Hinsicht als
eine Täuschung. Achtet man nämlich auf die soziale Einordnung der einzelnen Verhörten
- die Verhörprotokolle halten sie bei sehr vielen der Verhörten fest: ist ein bauer, ein
bauer auf zwei rosse, ein taglöhner-, so zeigen sich signifikante Unterschiede. Während
nämlich vor allem die Bauern die Einigkeit und Einhelligkeit des Dorfes, der gemein-
schaft - allersampt willen, betonen und auch einige der Tagelöhner277 diese festhalten,
zeigen sich doch gerade bei den Tagelöhnern auffällige Einschränkungen. So sagt Balthas
Brober, er sey im schreck davon geloffen, wisse kein ursach2n, Jerg Braun wisse nit, was
ine verursacht, sie seien gleich onbedacht davon geloffen279, noch eindeutiger Michael
Weißhar der articul sey ime nit wißend, sey wol bezecht gewesen, da man aber gesagt, die
pauren ziehen alle davon, sey er vollen wains auch hinwech gezogen, auf ein halb meilnit
gewißt, was ursach gewesen2*0. Gall Schweizer sagt er wiße nicht, daß ihr gnaden ihm
ainich ungebürliche gwalt zugefügt habe, dan als die bauren ausgedretten, sei er nicht
anheimbs gewesen. Daß er aber nachgefolgt, das sei sein unverstandt, sie sein wol aufm
ratthauß beinander gesein und der mühl halb clag fürgefallen, er hob sonsten zu der sach
nicht groß lust gehabtm, Thoma Schott er sei weder vom früner noch dem ausschuß
verfürt worden, sondern als die pauren davon loffen, wolt er auch nicht pleiben2gl und
Hans Schorndorffer er wißte nit umb dis fragstuck, die pauren seyen schon hinausgewesen
, hab Gall Hermann sein nachbar ine erst geweckt, er gedacht, wolle auch nit
dapleibenm.

Die auf den ersten Blick einige und einhellige Dorfgemeinschaft erweist sich also auch
noch im Austritt als eine differenzierte, die Beteiligung an der Entscheidung über den
Austritt als eine sozial begrenzte, weitgehend auf die Bauern beschränkte.

Gemeinde und Gemeinschaft hatten demnach hier - und dies deutete sich auch in den
Reaktionen der verschiedenen Dörfer auf den demographischen Druck des späten 16.
Jahrhunderts an284 - je nach Schichtzugehörigkeit eine unterschiedliche Bedeutung. Für
die einen, die bäuerliche Oberschicht, die auch sonst im Dorf das Sagen hatte285, war sie
Notzusammenhang, Solidargemeinschaft, die gemeinsam herrschaftlichen Druck, der
immer stärker die bäuerliche Ökonomie belastete, abwehrte, für die anderen, die
dörfliche Unterschicht und die Tagelöhner vor allem, stellte sie daneben auch einen
Terrorzusammenhang dar286, in welchem die anderen über die gemeinsame Aktion
entschieden, der man sich, sei es auf drängung der gemeind2S? oder weil kainer mer
dapleiben wollen™, anschloß.

277 So sind die oben zuletzt genannten Gall Hermann und Melch Hirlinger Tagelöhner.

278 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 448r.

279 STAS Ho 1 C II 2 B Nr. 4 fol. 46 lr.

280 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 457r.

281 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 452r + v.

282 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 448r.

283 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 455r.

284 Siehe oben S. 39f., S. 56f.

285 Siehe oben S. 46 f.

286 Die Formel von der Dorfgemeinschaft als >Not- und Terrorzusammenhang« wurde übernommen
aus UtzJeggle/Albert Iixien, Die Dorfgemeinschaft als Not- und Terrorzusammenhang
(wie Anm. 95).

287 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 488r.

288 STAS Ho 1 C II 2 b Nr. 4 fol. 453v.

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