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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0070
Agathe Kempf

Daß auch kleinere Delikte, Nachlässigkeiten und geringfügige Diebstähle, Mitwisser- und
Mittäterschaft zu gerichtlichen Recherchen führten (§ 9), war wohl teils als Abschreckungsinstrument
gedacht, teils lagen dem ähnliche Motive zugrunde wie den strengen Bestimmungen
bei Arbeitsversäumnis.

Unter Androhung gerichtlicher Strafe war das Anstiften der Arbeiter zu Streiks bzw.
Arbeitsniederlegung untersagt (§ 8). Dieses Verbot entstand wohl aus allgemeinen Erfahrungen
bzw. denjenigen anderer Betriebe. Für Karlstal war - aufgrund seines abseits gelegenen
Standorts und auch durch die agrarische Bevölkerung, die nicht revolutionär gesinnt war -
dieses Thema während des gesamten Betrachtungszeitraums nicht relevant296.

Alle Strafgelder fielen, falls die Fabrik keine Schadensersatzansprüche anmelden konnte, an
die Arbeiterhilfskasse oder wurden als Prämien an Arbeiter, die sich besonders positiv
hervorhoben, verteilt (§ 6). Vor allem letztere Verwendungsart war psychologisch geschickt, da
nicht nur schlechtes Verhalten bestraft, sondern gleichzeitig gute Leistungen belohnt wurden.
Die damit bezweckte Anspornung der Arbeiter erzielte sicher ihre Wirkung. Pollard nennt dies
das sprichwörtliche System von »Zuckerbrot und Peitsche«297.

Manche Bestimmungen mögen heute fast lächerlich bzw. sehr kleinlich klingen. Darunter
fällt, daß Gratulationen und Ceremonien am Neujahrstage, Namensfesten... als überflüssig
untersagt waren; ebenso Patenschaften der Beamten und Aufseher bei Arbeitern (§ 10). Zieht
man jedoch in Betracht, daß solche Anlässe Gründe zum Feiern, d. h. zu Arbeitsunterbrechungen
für längere Zeit boten, bei Patenschaften eventuell Bestechungen oder zumindest Beeinflussung
der Vorgesetzten befürchtet werden konnten, so sind auch diese Verbote zum Teil
verständlich, auch wenn sie nach heutiger Denkweise einen Eingriff in die persönliche Sphäre
darstellen mögen.

Das Rauchverbot (§ 7) ist eine Regelung, die aus Sicherheitsgründen getroffen wurde. Sie
bedarf daher wohl keiner Erklärung. Gleichfalls ist das Verbot der (mutwilligen) Sachbeschädigung
, das Verschmieren von Wänden und anderen Gegenständen (§13, Absatz 9) auch heute
noch aktuell und strafwürdig. Auch die Bestimmung, daß kein Alkohol an den Arbeitsort
mitgebracht werden durfte, ist überlegt: Einerseits sind Arbeiter unter Alkoholwirkung nicht
mehr so sicher im Umgang und bei der Bedienung von Maschinen und arbeiten z. T. auch
langsamer, andererseits werden andere Arbeiter zum Trinken angehalten und verführt. Letztere
Gefahr galt besonders für beschäftigte Kinder und Jugendliche, die sittlich gefährdet worden
wären.

Ein besonderes Problem war die Reinlichkeit und Ordnung in den Fabrikräumen. Es war
verboten, am Arbeitsplatz zu essen und zu trinken (§ 13, Absatz 5). Auch hier spielte neben der
Sauberkeit der Arbeitsräume vermutlich die Unterbrechung der Tätigkeit und der damit
verbundene Produktionsausfall eine gewisse Rolle. Besonders bei den damaligen hygienischen
Verhältnissen war dieses Verbot, das im Grunde heute noch Gültigkeit besitzt, berechtigt. Aus
ähnlichen Erwägungen heraus wurde ausdrücklich betont, daß nicht mehr benötigte Werkzeuge
und sonstige Gegenstände sofort wieder aufzuräumen seien (§ 13, Absatz 8).

Pollard bezeichnet dies als Versuche, »ein neues Ethos der Arbeitsordnung und des
Gehorsams zu schaffen«; beabsichtigt sei damit auch »die Einpflanzung des Katalogs jener
bürgerlichen Sekundärtugenden«, wie z. B. Ordnungsliebe, Sauberkeit, da Druck allein auf die
Dauer nicht wirken könne und eine »innere Bereitschaft zum (freiwilligen) Mitmachen«
herangebildet werden müsse298.

296 Betriebsakten Karlstal.

297 S. Pollard, Die Fabrikdisziplin in der industriellen Revolution. In: Die soziale Frage. Neuere
Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Frühphasen der Industrialisierung. Stuttgart 1967. Zit. nach
H. Treiber, H. Steinert, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. Über die »Wahlverwandtschaft«
von Kloster- und Fabrikdisziplin. München 1980, S. 32.

298 Pollard (wie Anm. 297), zit. nach Treiber, Steinert (wie Anm. 297) S. 32.

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