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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0072
Agathe Kempf

Diese eindeutige Besserstellung der Arbeiter im Vergleich zu 1839 geht hauptsächlich auf die
Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 mit mehreren ergänzenden Novellen zurück, welche im
Laufe der Zeit die Gewerbeordnung ständig ergänzten und zum Wohle der Arbeiter wirkten.

In Bezug auf die Arbeitszeit stellt sich Karlstal sogar besser als es die gesetzlichen
Bestimmungen verlangten. Dies war m. E. jedoch weniger auf die besondere Fortschrittlichkeit
und Humanität des Besitzers, als auf technisch-organisatorische Gründe im Produktionsablauf
zurückzuführen. Die Arbeitsaufgaben von Frauen, Jugendlichen und Männern griffen so
ineinander ein, daß es kaum möglich war, für Männer andere Arbeitszeiten einzuführen als für
Frauen. - Gesetzlich war mit der Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 das
Verbot eingeführt worden, Frauen an Sonn- und Feiertagen überhaupt sowie an Vortagen von
Feiertagen länger als zehn Stunden zu beschäftigen. Ebenfalls von diesem Zeitpunkt an galt, daß
Frauen auf Antrag eine halbe Stunde vor der Mittagspause nach Hause gehen durften, falls diese
nicht 1% Stunden betrug.301. Letzteres war in Karlstal der Fall.

Der verstärkt einsetzende Frauenschutz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
signalisiert einen gesellschaftlichen Wandel und eine Wendung zu humaneren Arbeitsbedingungen302
. Für Männer trat erst 1923 ein Gesetz in Kraft, das deren Arbeitszeit regelte303.

Beachtenswert sind auch die neu hinzugekommenen Unfallverhütungsvorschriften (§ 9),
die ebenfalls eine fortschrittliche Haltung erkennen lassen.

Neben obigen positiven, humanen und vorwärtsgerichteten Bestimmungen kamen 1892
auch einige Paragraphen hinzu, die nicht fortschrittlich, z.T. sogar eher kleinlich und
rückständig wirken. Die Fabrik durfte nur auf den dazu vorgeschriebenen Wegen betreten
werden. Geöffnet wurden die Türen erst 15 Minuten vor Arbeitsbeginn, Zuspätkommen bzw.
zu frühes Heimgehen hatte Bestrafungen zur Folge (§ 5). Bei Krankheit und sonstigen Gründen
des Fernbleibens mußte eine schleunige Anzeige erfolgen. Nicht erlaubtes bzw. unentschuldigtes
Wegbleiben von der Arbeit wurde mit Bußgeldern von mindestens 50 Pfennigen bis zum
halben Tageslohn, in Wiederholungsfällen bis zum ganzen Tageslohn geahndet (§ 6).

Diese Bestimmungen sind eigentlich nur konkretere Formulierungen von gleichen Paragraphen
der Fabrikordnung von 1839. Noch immer wurde zum beliebten, weil so effektiven
Disziplinierungsmittel der Lohnkürzungen gegriffen (vgl. § 17). Diese Regelungen wurden
aufgrund der Erfahrungen der vergangenen 52 Jahre nun präziser bestimmt und den Verhältnissen
der Fabrik angepaßt. - Ebenfalls genauer ausgeführt wurde auch das Alkoholverbot
insofern, daß Betrunkene für die Tage des Delikts nicht entlohnt wurden, im Wiederholungsfall
auch entlassen werden konnten (§ 7). In der Fabrikordnung von 1839 war untersagt worden,
sich in fremden Arbeitsräumen aufzuhalten; im Jahr 1892 beinhaltet die entsprechende
Bestimmung das Verbot, sich auch nach Dienstschluß bzw. in der Mittagspause in den
Arbeitsräumen aufzuhalten. Auch hier fällt die präzisere Formulierung von 1892 im Vergleich
zu 1839 auf, denn wahrscheinlich hat das ergänzende Verbot auch schon vorher bestanden, nur
explizit wurde es erst nachweislich 1892 schriftlich formuliert. Vielleicht waren Sachbeschädigungen
oder Diebstähle vorgekommen, die nicht geklärt worden waren. Dies scheint umso eher
möglich, als es nun auch strafbar war, Gegenstände geringen Wertes oder selbst Abfälle
mitzunehmen (§ 10), während 1839 allgemein von Veruntreuung die Rede war. Weiterhin war
auch das Wegwerfen von Material und Abfall untersagt (§ 10), was auf nachlässigen und
unbedachten Umgang mit Arbeitsstoffen schließen läßt.

Als vollständig neuer Paragraph erscheint die Unterscheidung der Löhne in Akkord- und
Stundenlöhne. Erstere wurden nach Tarifen festgelegt (§ 13). Die Einführung der Akkordlöhne

301 Auszug aus den Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Beschäftigung von Arbeiterinnen über
16 Jahren (Heimatbücherei Hechingen).

302 Vgl. Borscheid (wie Anm. 26) S. 373.

303 Ziegler (wie Anm. 6) S. 212, Anm. 15.

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