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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0094
Agathe Kempf

Der Durchschnittslohn der Spinnereien pro Tag lag im gesamten Regierungsbezirk
Sigmaringen für 12- bis 14jährige Mädchen bei 5 M; für 14- bis 16jährige Knaben bei 6,41 M und
für altersgleiche Mädchen bei 6,29 M. Karlstal zahlte für 14- bis 16jährige Knaben und Mädchen
den Wochenlohn von 2 fl 48 xr (rund 6 M)401.

Worauf die relativ hohe Zahl der in Karlstal beschäftigten Jugendlichen und auch Frauen
zurückzuführen ist, kann mit Sicherheit nicht festgestellt werden, da die Vergleichszahlen für
den gesamten Regierungsbezirk nur für 1874 vorlagen und somit nicht repräsentativ sein
können. Läßt man dies bewußt außer Betracht, könnte das Faktum der hohen Frauen- und
Jugendlichenbeschäftigung in Karlstal dreierlei Ursachen haben:

1. Einmal war das hohenzollerische Unterland stark landwirtschaftlich geprägt. So könnte es
sein, daß der Fabrik nicht genügend männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen und
deshalb auf Frauen und Jugendliche zurückgegriffen werden mußte.

2. Zum anderen waren die Löhne von Frauen und Jugendlichen niedriger als diejenigen der
Männer, so daß die beiden ersteren Personengruppen evtl. bevorzugt eingestellt wurden, um
gegenüber der Konkurrenz die Kosten, die für Karlstal infolge der ungünstigen Lage
besonders hoch waren, zu senken.

3. Letztlich läßt die Beschäftigung von Frauen und Jugendlichen auf eine arme Bevölkerung
schließen, die selbst auf die kleine Einkommens verbesserung durch den geringen Lohn dieser
Familienmitglieder angewiesen war.

Positiv für Karlstal in der Angelegenheit der Kinderarbeit ist zu vermerken, daß 1874 keine
Kinder unter 14 Jahren beschäftigt wurden, während dies in hohenzollerischen Spinnereien
insgesamt dreimal vorkam.

Am 7. April 1872 erging ein Rundschreiben des Ministers für Handel und Gewerbe zu
Berlin an die königlich preußische Regierung in Sigmaringen, in dem ein düsteres Bild der
Frauenarbeit gezeichnet wurde. Aufgrund dieser Mißstände wurde ein Schutz der arbeitenden
Frauen in Erwägung gezogen, denn die übermäßige Anstrengung der Frauen in den Fabriken
äußert ihre nachteiligen Wirkungen... denn sie hat nicht blos die Schädigung des eigenen
Körpers sondern oft genug auch die Verkümmerung ganzer Generationen zur Folge. Endlich
liegt auch auf der Hand, daß selbst da, wo so bedenkliche Erscheinungen nicht zu befürchten
sind, durch die andauernde Beschäftigung in Fabriken während der vollen täglichen Arbeitszeit
die Hausfrauen und Mütter der Wahrnehmung ihres Hauswesen, sowie der Pflege und
Erziehung der Kinder, das heranwachsende weibliche Geschlecht aber der Ausbildung für den
Hausfrauenberuf in bedenklicher Weise entzogen werden und dadurch der nöthigsten Vorbedingungen
der wirtschaftlichen, geistigen und sittlichen Hebung des Arbeiterstandes, der
fortschreitenden Entwicklung eines geordneten Hauswesens und eines befriedigenden Familienlebens
ein wesentliches Hindemiß entgegengestellt wird*02.

Der Minister dachte jedoch noch nicht an bindende gesetzliche Regelungen zur Beseitigung
dieser Zustände, da dies einen tiefen Eingriff in manche Industriezweige und deren Konkurrenzfähigkeit
bedeutet hätte und auch zahlreiche Arbeiter durch die Schmälerung des Familieneinkommens
empfindlich getroffen worden wären. Es sollte zunächst eine allgemeine Erhebung
durchgeführt werden, in der festzustellen war, inwieweit Frauenarbeit den oben beschriebenen
Gegebenheiten in den einzelnen Landesteilen entspräche, und ob eine Arbeitszeitbeschränkung
für Frauen wirtschaftlich möglich sei.

Für Karlstal traf ein Großteil der erwähnten Mißstände nicht oder nur in beschränktem
Maße zu, da es nicht mit Großstadtindustriedistrikten gleichzusetzen war, wo oft die ganze
Familie in Fabriken arbeitete. In Karlstal wurde zu jener Zeit (1872) keine Mutter beschäftigt,
sondern nur Mädchen. Letztere blieben meistens nur wenige Jahre in der Spinnerei. Die Eltern

401 Ebd. Ho 235, Pr. Reg. I, VI, P, 291 vol. I.

402 Ebd. Ho 202, PO AH 1555.

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