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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0252
Gerd Friedrich Nüske

bescheidene Ausgleichsfunktion zugesprochen. In Abschnitt III über die Pflichten und Rechte
der Staatsangehörigen folgten weitere Grundrechte wie Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubensund
Gewissensfreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Unver-
letztlichkeit der Wohnung, Garantie des Eigentums sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses
. Auch hierbei unterschied sich der Entwurf Bock-Niethammer nicht erheblich von anderen
Verfassungen seiner Zeit. Anders aber der Abschnitt IV über die Staatsgewalt und ihre
Ausübung, der schon umfangmäßig aus dem gesamten Entwurf herausfiel. Das wichtigste
Kapitel daraus war zweifelsohne das über die Ausübung der Staatsgewalt, das gleichsam ein
Kernstück der Verfassung darstellte. Fast versteckt fand sich darin in Artikel 19 die Vorschrift:
Volksabstimmung findet über die Annahme oder die Ablehnung der Verfassung und die Wahl
des Ministerpräsidenten statt. Die dadurch begründete unabhängige Stellung des Ministerpräsidenten
wurde in anderen Artikeln verstärkt und erweitert. Nach Artikel 42 Abs. 1 wurde der
Ministerpräsident zugleich mit dem Landtag auf vier Jahre gewählt, nach Artikel 44 vertrat der
Ministerpräsident den Staat nach außen, nach Artikel 45 ernannte und verabschiedete der
Ministerpräsident die Beamten und nach Artikel 46 übte er das Gnadenrecht aus. Die größte
Machtfülle kam dem Ministerpräsidenten freilich durch Artikel 49 des Entwurfs Bock-
Niethammer zu. Danach berief und entließ er die Minister, führte den Vorsitz in der Regierung
und legte allein Ziel und Richtung der Staatsführung fest. Es verwunderte nun nicht mehr, wenn
Artikel 53 Abs. 2 festlegte, daß bei Stimmengleichheit in einer Abstimmung innerhalb der
Regierung die Stimme des Ministerpräsidenten den Ausschlag gab.

Die Stellung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Landtag war nicht in jeder Beziehung
eindeutig. Einerseits sollte der Ministerpräsident unmittelbar vom Volk gewählt werden und
trug gegenüber dem Landtag, wie gesagt, die Verantwortung für die von ihm grundsätzlich
bestimmte Regierangspolitik. Wollte freilich der Landtag den Ministerpräsidenten zum
Rücktritt zwingen, so war dies verhältnismäßig schwierig. Nach Artikel 39 Absatz 1 konnte der
Landtag sich selbst auflösen. Die Auflösung des Landtags hatte dann den Rücktritt der
Regierang zur Folge. Doch außer diesem unwahrscheinlichen Verfahren gab es weiterhin die
Verfassungsvorschrift, daß der Ministerpräsident dann zurücktreten müsse, wenn er sich trotz
einer grundsätzlichen Divergenz nicht zur Auflösung des Landtags entschließen könne. Doch
offenbar hatten die Verfassungshüter wenig Vertrauen in die Einsichtsfähigkeit eines Ministerpräsidenten
in einem solchen Fall. Jedenfalls hatten sie für diesen Konfliktfall auch noch die
Entscheidung des Staatsgerichtshofs vorgesehen.

Der Entwurf der Abgeordneten Bock und Niethammer hatte auch das Institut der
Ministerverantwortlichkeit aufgenommen. Die Ministerverantwortlichkeit, eine Kombination
von monarchischem Prinzip und Repräsentationsystem, war ein wesentlicher Aspekt der
konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts gewesen226. Die Ministerverantwortlichkeit
war in der konstitutionellen Monarchie begründet worden, also »in denjenigen Staaten, wo der
Monarch alleiniger Träger der Staatsgewalt ist, in der Ausübung einzelner Rechte aber an die
Zustimmung einer das ganze Volk repräsentierenden Körperschaft gebunden«227. Inwieweit
der Verfassungsentwurf Bock-Niethammer tatsächlich einen solchen Rückgriff im Sinn hatte,
mag hier dahingestellt bleiben. Immerhin scheint alles darauf hinzudeuten, daß die Autoren
eher auf konservative Verfassungsmodelle Bezug nahmen, als daß sie sich zu Neuformulieran-
gen durchzuringen vermochten. Dies äußerte sich vor allem bei dem Bestreben, einen mit

226 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Bd. 3. Stuttgart 1963. S. 4ff.;
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im
19. Jahrhundert. In: Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert.
Hg. von Werner Conze (Neue Wissenschaftliche Bibliothek. Geschichte 51). Köln 1971. S. 146-170,
S. 151.

227 Richard Passow, Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit in Deutschland. Eine staatsrechtliche
Studie. Tübingen 1904. S. 7.

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