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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0253
Württemberg-Hohenzollern als Land der französischen Besatzungszone

beträchtlichen Vollmachten und starker tatsächlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Regierungschef
in den Mittelpunkt der Exekutive zu stellen. Diese Tendenz wurde noch deutlicher
im Artikel 48 des Entwurfs, der nicht nur der Zählung nach, sondern vor allem dem Inhalt nach
dem berühmt-berüchtigten Notstandsartikel der Weimarer Reichsverfassung entsprach.

Am 18. März 1947 begann der Verfassungsausschuß in Bebenhausen eine - mit Unterbrechungen
- bis zum 20. März 1947 dauernde Beratung des Entwurfs Bock-Niethammer, die in
einer spannungsgeladenen Stimmung bald einem ersten Höhepunkt zustrebte228. Zwischen den
verschiedenen politischen Gruppen war bald jeder Punkt umstritten. Das fing beim grundsätzlichen
Aufbau der Verfassung an, setzte sich bei der Abfolge der einzelnen Artikel fort und
erstreckte sich natürlich auch auf unvereinbare Ansichten über den Inhalt der einzelnen
Verfassungsartikel. Diese grundsätzliche Unvereinbarkeit der Ansichten trat schon zutage, als
man sich kaum über die Reihenfolge der Grundrechte einigen konnte. Der sozialdemokratische
Abgeordnete Roser bezog sich auf die in Artikel 1 der nordwürttembergischen Verfassung
festgeschriebene Subsidiarität des Staats gegenüber dem Menschen. Roser führte aus: Der
Grundgedanke dieser Verfassung ist, vom Menschen auszugehen, von seiner privaten Sphäre,
den seiner Eigenständigkeit, und den Staat in eine grundsätzlich dienende Stellung zu verweisen.
Dem Entwurf Bock-Niethammer - den Roser treffend als Entwurf Niethammer bezeichnete -
hielt er vor, die staatliche Organisation zu stark zu betonen. Ganz das Gegenteil war nach Roser
bei der Stuttgarter Verfassung der Fall: Hier wird der Staat ganz dem Menschen untergeordnet
und ist dazu da, dem Menschen zu dienen. Vor allem nahm Roser Anstoß an den Artikeln 4 und
5 des Entwurfs Bock-Niethammer. Es genüge nicht, festzustellen, der Staat achtet die
allgemeinen Menschenrechte. Vielmehr sei der Staat dazu da, die allgemeinen Menschenrechte
zu sichern und ihnen zu dienen. Dem entgegnete der Abgeordnete Bock in recht allgemein
gehaltenen Formulierungen über Wesen und Aufgabe des Staates. Er stellte die ihm vorgehaltene
Überbetonung des Staats im Entwurf Bock-Niethammer in Abrede: Wir fassen den Staat
nicht als Selbstzweck auf. Dann aber verlieh er seinem Staatsbegriff gleich wieder erhebliche
Unschärfe, indem er bekannte:... der Staat ist auch nur ein Teil der sittlichen Weltordnung, die
gegeben ist vom Schöpfer Himmels und der Erde. Ich spreche hier ganz christlich und ohne
Vorbehalte. Von dieser sittlichen Weltordnung aus ist auch der Staat zu sehen und zu
beurteilen... Bocks Fraktionskollege Gog ergänzte: Unsere Auffassung ist so, daß der Staat als
primäre Staatsordnung in erster Linie das Wohl des Staates zu verfolgen hat. Dies stieß auf den
entschiedenen Widerstand der anderen Fraktionen. Roser antwortete: Nach unserer Auffassung
ist der Staat keine göttliche Ordnung, sondern der Staat ist lediglich Menschenwerk, in dem die
Menschen sich in ihrer Unvollkommenheit unter sich eine gewisse Lebensordnung geschaffen
haben. Dem steht die katholische Auffassung gegenüber, daß der Staat eine von Gott gesetzte
Ordnung ist. Bock hielt dem seinerseits entgegen, daß der Artikel 1 der Stuttgarter Verfassung
bedenklich sei: Da geht man vom einzelnen Individuum aus. Man hat auch den Menschen
sozialisiert hier. Im übrigen sei, so betonte Bock, der Entwurf kein Zufallsprodukt, sondern er
sei gut durchdacht und man könne keinen Teil herausnehmen, ohne nicht das Ganze zu stören.

Darauf antwortete der liberale Abgeordnete Leuze, daß die CDU stets den Verfassungsentwurf
als ein abgeschlossenes Ganzes darstelle. Damit war wohl eher gemeint, daß die CDU eine
überwältigende Mehrheit im Verfassungsausschuß auch dazu benutzte, bald jeden Änderungsantrag
der übrigen Fraktionen kurzerhand abzulehnen. Der Abgeordnete Leuze, der damit
auch einen gewissen offenbar fraktionsinternen Erfolgszwang offenbarte, äußerte vergeblich
den Wunsch: Ich bitte Sie von der CDU, auch die anderen zu verstehen229. Doch dies sollte
nicht eintreten. So verzeichnen die Protokolle des Verfassungsausschusses wenige Kompromis-

228 Vgl. zum folgenden: Niederschrift über die Sitzungen des Verfassungsausschusses am 18. bis 20. 3.
1947 in Bebenhausen S. 1-111, in: StA Sigmaringen Wü 1/28.

229 Ebd. S. 8.

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