Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0282
Klaus-Dietmar Henke

trend wird wohl anhalten, denn die Akten der amerikanischen Militärregierung liegen
inzwischen verfilmt vor, und auch die Dokumente - darauf sei eigens verwiesen - der
französischen Besatzungsbehörden werden nun zugänglich gemacht. Neben den sich daraus
ergebenden Entfaltungsmöglichkeiten der zeitgeschichtlichen Regionalforschung werden aber
auch die Ansprüche wachsen, die an eine moderne Landeshistoriographie zu stellen sind.

Das gewichtige Werk über »Das Land Württemberg-Hohenzollern 1945-1952« und seine
Geschichte bis zu dessen Aufgehen im Bundesland Baden-Württemberg enthält zahlreiche
Beiträge, die solchen gewachsenen Anforderungen genügen. Zu nennen wäre z. B. der in
schwäbischer Zurückhaltung »Streifzug durch das Finanzressort« (S. 233-273) betitelte Aufsatz
des früheren Präsidenten des Rechnungshofs Baden-Württemberg, Walter Atorf, oder - selbst
für Spezialisten eine Perle unter den 29 Beiträgen - Gustav von Schmollers Beschreibung des
»Instituts für Besatzungsfragen« in Tübingen (S. 447-470). Viele der Arbeiten, die aus diesem
Institut hervorgegangen sind, nicht zuletzt das bekannte »Handbuch des Besatzungsrechts«,
werden seit langem mit großem Gewinn von der Zeitgeschichtsforschung herangezogen, ohne
daß sich alle, die auf diesem Felde arbeiten, über Charakter, Besetzung und Tätigkeitsfeld des
Tübinger Instituts immer ganz im klaren gewesen wären. Das ist nun anders. Darüber hinaus
enthält das Buch aber auch Elemente, ohne die Landesgeschichte ärmer wäre: Liebe zum Detail
und zum Anekdotisch-Bodenständigen. Man denke nur an die wahrlich belanglose, dafür aber
um so charmantere und allein von Insidern interpretierbare Mitteilung von Friedrich Roemer in
seiner Beschreibung der Verwaltungsschule Haigerloch, aus der hervorgeht, daß ein Angestellter
namens Wehling, der in Haigerloch den Betrieb führte, eine »fast legendäre Ehefrau« mit
Namen Grete gehabt habe (S. 121).

Generell wird man nach der Lektüre feststellen müssen, daß die vorsichtige antithetische
Kategorisierung der Beiträge durch die Herausgeber, es würden zu den »wissenschaftlicher
Sachlichkeit verpflichteten Darstellungen« auch »von unmittelbarem Erleben geprägte Erinnerungsabschnitte
« geboten, manchem Beitrag der ehemaligen Akteure fast ein wenig Unrecht
tut. Denn eine ganze Reihe von Aufsätzen letzterer Gruppe braucht in puncto »Wissenschaftlichkeit
« einen Vergleich mit den Arbeiten »der Wissenschaft« sicherlich nicht zu scheuen -
auch wenn sie auf den üblichen Apparat an Belegstellen verzichten. Man nehme nur den schon
erwähnten Beitrag von "Walter Atorf. Hier ist aus eigenem Erleben die französische Besatzungspolitik
ganz ähnlich gesehen, wie sie heute gemeinhin auch von Spezialisten - nachdem diese im
Aktenstaub viel Schweiß verloren haben - beurteilt wird: »Die Besatzungspolitik der Franzosen
war weniger darauf gerichtet, der ihr untenan gewordenen Bevölkerung mit staatspolitischer
Erziehung aufzuhelfen, als daß sie gegenüber den Besiegten die Entziehung lebenserhaltender
Kräfte für das zunächst richtige Nachkriegsgebot hielt.«(S. 233.) Akribisch - und entsprechend
der Konzeption des Werkes auch bis in das Jahr 1952 hinein - ist die Haushaltspolitik des
kleinen Landes und die Einflußnahme der Militärregierung dargelegt. Nebenher erfährt man
Einzelheiten über die gewitzte und erstaunlich unbürokratische, für die Solidarität im geteilten
Württemberg aber signifikante Verrechnungsaktion zwischen Nord- und Südwürttemberg in
Millionenhöhe. Nicht alle sechzehn Beiträge von ehemaligen Akteuren erreichen die Brillanz
der Synthese und die Klarheit der Sprache, die die kleine Studie von Altbundeskanzler Kurt
Georg Kiesinger über die in der Forschung bislang zu kurz gekommene Behandlung des
Südweststaatproblems im 1. Deutschen Bundestag auszeichnet (S. 405-424). Auch Paul
Feuchte, ehemals Ministerialdirektor in der südbadischen Staatskanzlei, geht mit seinem
Aufsatz zur »Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Südweststaatfrage« über einen
einfachen Bericht aus der Erinnerung weit hinaus (S. 425-437). Gotthilf Schmid schließlich
bringt mit seinem nüchternen Artikel zur Forstwirtschaft (S. 305-322) während der Besatzungszeit
einiges Neue (und exakte Zahlen) zu dem Raubbau an den Waldbeständen durch die
von der Militärregierung angeordneten berüchtigten E- und F-Hiebe, die damals für viel böses
Blut gesorgt haben.

280


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0282