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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0297
Besprechungen

diesen Neudeutungen und flexiblen Bezugnahmen auf Altes Recht zeigt sich, daß der häufig scheinbar
rückwärts gewandte bäuerliche Widerstand durchaus seine nach Vorne verweisenden Komponenten hat.

Die Folgen der Konflikte in den drei Territorien sind unterschiedlich und reichen von der Emanzipation
Appenzells aus der klösterlichen Herrschaft und seine Aufnahme in die Eidgenossenschaft über den durch
bäuerlichen Widerstand erreichten Abbau von Herrschafts- und Rechtsverhältnissen und deren Anglei-
chung ans bayerische Umland im Eigen Rottenbuch bis zum Vorliegen stabilisierter Spannungen« in der
Herrschaft Triberg, die eine Verhandlungsbereitschaft der Herrschaft erzwang und so zur wenn auch
beschränkten Einflußnahme der Untertanen auf die Herrschaftsverhältnisse führte. In allen drei Fällen zeigt
sich eine hohe Bedeutung der Gemeinde als Träger und Organisator des Widerstands. Hier fällt allerdings
der stark verfassungs- und rechtshistorische Gemeindebegriff auf. Zwar wird vornehmlich in den Beiträgen
von R. Blickte und C. Ulbrich eine soziale Einordnung der namentlich faßbaren Träger des Widerstands
geleistet, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen und deren mögliche Folgen auf Ebene der Gemeinde
jedoch nur am Rande erörtert. Gerade ein um die wirtschafts- und sozialhistorische Dimension erweiterter
Gemeindebegriff, der diese auch als Bereich wirtschaftlicher Kooperation und sozialer Interaktion
betrachtet, hätte die Formen der Mobilisierung und Organisierung bäuerlichen Widerstands deutlicher
werden lassen. Ob daher die These von der Identität politischer Trägerschicht und wohlhabenden Bauern in
so prinzipieller Weise korrigiert werden muß, wie dies Peter Blickle in seiner Zusammenfassung fordert,
wird sich in der weiteren Forschung noch erweisen müssen.

In der den Band abschließenden Zusammenfassung betont Peter Blickle, daß bäuerlicher Widerstand in
»einer Disharmonie der Wertvorstellungen über die rechte politische Ordnung zwischen Bauern und
Herrschaft« wurzele und fordert von der künftigen Forschung, daß ihre besondere Aufmerksamkeit dem
bäuerlichen Rechtsbewußtsein zu gelten habe. Wenn er daneben darauf aufmerksam macht, daß zum
Beispiel der Zurückweisung herrschaftlicher Verfügungsansprüche über bislang gemeinsam genutzte
Ressourcen Werte der bäuerlichen Wirtschaftsethik zugrunde liegen, so gibt er einen Hinweis darauf, in
welche Richtung diese Forschung zielen sollte. Auch hier könnte ein stärker wirtschafts- und sozialgeschichtlicher
Zugriff eine wichtige Ergänzung sein.

Im zweiten hier zu besprechenden Band »Deutsche Untertanen: ein Widerspruch« führt Blickle seine
Thesen weiter, verdichtet sie zu modellhaften Überlegungen, formuliert sie bewußt pointiert, um zur
Diskussion anzuregen.

Nach einer begrifflichen Abgrenzung seines Themas skizziert er im ersten Kapitel knapp und präzise die
Wandlungen der Siedlungsweise (»Verdorfung«), der Wirtschaftsweise und -Organisation (»Vergetrei-
dung« und »Verzelgung«) und der sozialen und politischen Ordnung (Ablösung des Villikationssystems
durch die Grundherrschaft), die zwischen 1200 und 1300 zur Entstehung des Dorfs und der Gemeinde als
»korporativ-genossenschaftlichem Verband von Hausvätern, die staatliche Funktionen im Rahmen einer
relativ geschlossenen Siedlungseinheit wahrnehmen«. Stärker als im obigen Band betont er die dörfliche
Wirtschaft und deren Ordnungsprobleme als Kernbereich gemeindlicher Selbstverwaltung, hebt aber auch
hier vornehmlich auf die staatlichen Funktionen der Gemeinde und die Bestrebungen einer Sicherung und
Erweiterung ihres politischen Aktionsradius ab. Die eigentliche Brisanz seiner Überlegungen hegt jedoch
darin, daß seiner Ansicht nach diese Bestrebungen - von Blickle als »Kommunalismus« bezeichnet - in
grundsätzlichem Widerspruch zum Feudalismus stehen und darauf abzielen, das kommunale Prinzip zur
Basis der staatlichen Organisation zu machen, wie dies im Bauernkrieg versucht und in der Schweizer
Eidgenossenschaft verwirklicht wurde. Neben diesen Versuchen, das kommunal-bündische Modell als
»Deutschlands dritten Weg zwischen Reich und Territorialstaat« durchzusetzen, lassen sich nach Blickle
zwei andere Formen beobachten, die Spannungen zwischen diesen beiden antagonistischen Prinzipien zu
lösen. Eine positive Integration des Anspruchs, den politischen Aktionsradius der Gemeinde zu erweitern,
bildet die Konstituierung bäuerlicher Landschaften als Repräsentation der Untertanen, durch die diese
innerhalb des Territorialstaates ein Mitspracherecht wahrnehmen, eine negative Integration vollzieht sich in
Form der Revolte als »Antwort auf ein Defizit an Integrationsfähigkeit und Integrationswilligkeit der
Landesherrschaft«, wobei er zwei Revoltentypen unterscheidet: die Revolte gegen die Grund- und
Gutsherrschaft und die Steuerrevolte.

Blickles Modell ist anregend und faszinierend und belegt eindringlich die Notwendigkeit, den Untertan
als relevanten und aktiven Faktor in der deutschen Geschichte zu begreifen. Gleichwohl scheinen manche
Thesen problematisch. So ist zu fragen, ob nicht seine Unterscheidung von nur zwei Revoltentypen zu stark
abstrahiert, als daß sie für die Analyse und Aufarbeitung bäuerlicher Revolten noch dienlich sein kann, und
auch seine These vom Antagonismus der beiden Prinzipien Kommunalismus und Feudalismus bezieht
einen Teil ihrer Schärfe und Griffigkeit aus einem (bewußt?) überspitzten Feudalismusbegriff.

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