Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0298
Neues Schrifttum

Marc Bloch schrieb vor über fünfzig Jahren in einer Studie zur französischen Agrargeschichte, daß die
Bedeutung agrarischer Revolten in der feudalen Gesellschaft der von Streiks in der Industriegesellschaft
entspricht. Die beiden hier besprochenen Bände stellen einen wichtigen Schritt dar, die Bedeutung und
Richtigkeit dieser These endlich auch für Deutschland zu erkennen. Schade nur, daß der Preis der beiden
Bände (DM 98,- bzw. DM 28,-) die breite Rezeption, die man ihnen wünschen würde, behindern wird;
Kurt Tucholskys Forderung hat leider immer noch nicht ihre Gültigkeit verloren: »Macht unsre Bücher
billiger!«

Sigmaringen Eberhard Elbs

Klaus Arnold: Nikiashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans
Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes. Baden-Baden: Valentin Koerner
1980. 385 S. (Saecula Spiritualia Band 3).

Klaus Arnolds Arbeit umfaßt zwei inhaltliche Hauptkapitel (I. Die Niklashäuser Fahrt 1476; II. Das
Dorf Nikiashausen) und einen Anhang.

Im ersten Teil setzt sich Arno Id mit der Wallfahrt nach dem fränkischen Dorf Nikiashausen im Jahr 1476
auseinander, die einen Sommer währte und mit der Gefangennahme und Verbrennung des verketzerten
Predigers Hans Behem ein abruptes Ende fand. Arnold verwendet 72 Quellenzeugnisse, vor allem
Chroniken und Akten der Territorialgewalten, die bis 1550 entstanden sind und von denen viele bislang
noch unbekannt waren. Indem der Verfasser die Entstehungsbedingungen dieser Aufzeichnungen berücksichtigt
, kann er viele neue Erkenntnisse gewinnen: Wie er manche Aussagen als übliche Topoi der
mittelalterlichen Ketzergeschichtsschreibung herausarbeitet, geht er anderen, bisher unbeachteten Hinweisen
nach, etwa über die Herkunft des Paukers von Nikiashausen (Pfeifer oder Pauker von Nikiashausen ist
die bekanntere Bezeichnung für Hans Behem). So kann Arnold ein Bild entwerfen, das das Wirken des
Paukers und der Wallfahrer in ihrer Zeit plausibel erscheinen läßt. Er beschreibt den als Spielmann und
Schafhirte herumgekommenen Pauker, der die Nöte und Ängste seiner Mitmenschen kannte und,
beeinflußt von den damals in Franken und anderswo umgehenden hussitischen und waldensischen
Gedanken, zu den Wallfahrern predigte: gegen die verweltlichte Geistlichkeit, den Luxus und die
Pfründenanhäufung. Sein Reformprogramm stand an Radikalität dem der Bauern von 1525 in nichts nach.
Ausgangspunkt der ganzen Wallfahrtbewegung war die Marienverehrung, der Pauker verstand sich selbst
als »unser frawen botschaft«, als Gesandter der Muttergottes. Diese Heiligenverehrung war jedoch konträr
zu den Vorstellungen der Taboriten und Waldenser. Auffällig auch, daß im Bauernkrieg 1525 aus
Nikiashausen keine Beteiligung bekannt ist, daß sich niemand auf die Ideen des Hans Behem berufen hat,
obwohl er doch in der Tat ein Vorläufer war.

Im zweiten Teil untersucht Arnold das Dorf Nikiashausen mit dem Ziel, einen Einblick in die
rechtlichen und sozialen Verhältnisse während des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zu bekommen.
Ist der Verfasser wirklich in der Lage, Beziehungen herzustellen zwischen der sozialen Situation der
Menschen damals und ihrer Bereitschaft, den Ideen des Paukers zuzujubeln und sich dafür womöglich mit
der Obrigkeit anzulegen?

Arnold vermag das nicht, es ist jedoch auch nicht sein Anspruch. Er schreibt in seiner Einleitung, daß das
Buch von zwei Dingen handle, eben der Niklashäuser Wallfahrt und dem Versuch, die Strukturen des
Dorfes Nikiashausen herauszuarbeiten, wobei »der Schnittpunkt von Synchronie und Diachronie, von
episodenhaftem Ereignis und langdauernder Zeit gerade hier von besonderer Faszination« sei (S. 2).

Anhand von schwer zugänglichem Quellenmaterial, das von Urkunden und Urbaren des 14. und
15. Jahrhunderts bis zu Schätzungen und Flurkarten des 17. und 18. Jahrhunderts reicht, legt Arnold eine
Untersuchung vor, die beeindruckt. Ausgehend von einem mittelalterlichen Fronhof der Grafen von
Wertheim war die Entwicklung des Dorfes von Anfang an gehemmt: Der herrschaftliche Hof, später zwar
in vier Teile geteilt, die jedoch einzeln immer noch sehr groß waren, dominierte den Ort. Die Bauern saßen
schon im späten Mittelalter auf stark zersplitterten, sehr kleinen Besitzstücken, die eine Weiterteilung unter
Erben kaum erlaubte. So verbot sich ein Wachstum der Bevölkerung von selbst. Nikiashausen blieb eine der
kleinsten und unbedeutendsten Siedlungen in der Umgebung des Taubertales.

Am Schluß kommt Arnold doch noch auf die Frage zurück: Gibt es in dem Dorf Nikiashausen
Anhaltspunkte, die auf eine besondere Anfälligkeit der Bewohner für soziale Bewegungen hinweisen? Er
verneint: »Nichts in der Situation dieses Dorfes weist im Vergleich mit anderen ländlichen Siedlungen auf

296


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0298