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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0300
Neues Schrifttum

Als das Malheur mit dem Pakt mit der Revolution passierte, glaubte der Fürst, daß der Demokratie auch die
Zukunft gehöre. Er sprang auf, nicht zuletzt in der Absicht, dem Adel eine Führungsrolle in neuer Form zu
sichern. Erstaunüch nun, daß nicht nur seine Bauern mitzogen, sondern die Linke überhaupt, so etwa, als
sie plante, ihn in der Krise, in die der Malmöer Waffenstillstand (nicht der »Kölner«, wie es im Text steht)
die Paulskirche gestürzt hatte, an die Spitze eines neuen Kabinetts zu stellen. Nur, ein Standesherr als
Vorreiter der Demokratie, möglicherweise sogar einer deutschen Republik und die Revolution nicht
ausgeschlossen, das machte ihn endgültig zu jenem Unzeitgemäßen, dem erst die Nachwelt den verdienten
Kranz - in eben dieser Biographie - flechten sollte, während ihn das zur Reaktion zurückgekehrte
Württemberg zeitgemäß auf den Hohenasperg brachte.

Alles in allem eine Arbeit, die einem Außenseiter gewidmet ist und darin auch ihren Reiz hat.

Mainz Hugo Lacher

Großherzog Friedrich [. von Baden und die Reichspolitik. Hrsg. von Walther Peter Fuchs. Band 3.4.
Stuttgart: Kohlhammer 1980. Band 3. 1890-1897. XVIII, 784 S. Band 4. 1898-1907. 768 S.
(Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A
Quellen, Band 31.32.)

Die Bände 3 und 4 der Dokumente um den Großherzog Friedrich I. von Baden umfassen die Jahre von
1890-1907, also vom Abgang Bismarcks bis zum Tod des 81jährigen Fürsten. Mit Bismarck verließ ein
Mann die politische Bühne, den der Großherzog zwar respektierte, aber nicht schätzte. Umso herzlicher
gestaltete sich nun sein Verhältnis zu seinem Neffen Kaiser Wilhelm II. Mit diesem machte er auch den Weg
in die Welt- und Flottenpolitik mit, für den nationalgesinnten Fürsten die logische Fortsetzung dessen, was
nicht ohne sein Zutun 1871 entstanden war. Sichtbar wird dabei auch sein nicht untypisches Verständnis
von Außenpolitik, daß, wer stark ist, auch Freunde hat. Verständlich, daß er neben der Flotte auch das Heer
zur »schönsten und besten Einrichtung des Reichs« zählte; nach innen war es »die große treffliche Schule
der Nation«, beides zusammen »die Grundlage aller Staatsordnung«. Man sieht, der Fürst, der einst die
liberale Wende in Baden einleitete, ist noch konservativer geworden. Den Parlamentarismus englischer oder
französischer Spielart lehnte er ab, der deutsche mußte vom monarchischen Prinzip getragen sein,
unpatriotische und lediglich Parteiinteressen verfolgende Parteien wie Zentrum und Sozialdemokratie
waren fernzuhalten. Das gerade von diesen Parteien vertretene Volk stand ihm - wenigstens als politischer
Faktor - denkbar fern. Im bischöflichen Seminar in Freiburg habe er gerade einen Studenten aus »gebildeten
Kreisen« getroffen. »Alle anderen stammen aus den niedersten Kreisen der Bevölkerung, Bauern,
Tagelöhner, Kleingewerbe, niedere Bedienstete, Volksschullehrer [sie]. Alle kurzsichtig, körperlich
schwach entwickelt, ohne jedwede Haltung...« Freilich zeigt sich hier auch ein wenig beachteter Aspekt
der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche. Der erste Bildungsbürger Badens ist verärgert, daß
durch kirchliche Lehranstalten einfaches Volk in Regionen gehoben wird, wo es dann - wiederholter
Vorwurf an Geistliche - »sozialistisches Gedankengut« verbreitet. Verständlich daher auch die permanenten
Vorstellungen beim Erzbischof, solchen Umtrieben - das Zentrum fuhr unter Theodor Wacker
demokratischen Kurs - ein Ende zu setzen, wobei ihm als Gegenleistung für kirchliches Wohlverhalten
offensichtlich auch jene Gesetze, die einmal das Verhältnis von Staat und Kirche auf eine zeitgemäße
Grundlage stellen sollten, feil gewesen wären. In der Tat, dem alternden Fürsten machte die Veränderung
der politischen Landschaft mit dem Niedergang des Nationalliberalismus, dem Aufstieg von Zentrum und
Sozialdemokratie und schließlich dem nur widerwillig hingenommenen Großblock, also der Allianz von
Liberalen und Sozialdemokraten von 1905, zunehmend Sorge. Um dem Verfall zu steuern, möchte er im
Zug einer lebenslang verfolgten Idee, durch Erziehung eine patriotisch gesinnte Elite heranzubilden,
Geschichtsvorlesungen für alle Studenten obligatorisch machen.

Aus der Fülle der Themen sei schließlich noch eines herausgegriffen, die Freundschaft des Fürsten mit
Theodor Herzl und anderen Zionisten, seine stete Bereitschaft, die Ziele Herzls zu fördern und auf der
anderen Seite das enorme Vertrauen, das ein jüdischer Intellektueller ihm, dem Reich und auch dem Kaiser
entgegenbrachte. Von diesem denn auch noch ein Brief, in dem sich Wilhelm II., obwohl auch er nicht ganz
frei von Vorurteilen, dezidiert als Philosemit bekennt. »Überall erhebt die Hydra des rohesten, scheußlichsten
Antisemitismus ihr greuliches Haupt und angsterfüllt blicken die Juden - bereit, die Länder, wo ihnen
Gefahr droht, zu verlassen - nach einem Schützer!« Neun Zehntel aller Deutschen würden ihn mit
Entsetzen meiden, wenn sie später einmal erfahren sollten, »daß ich mit den Zionisten sympathisiere«. Und

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