Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0301
Besprechungen

hier mag sich denn doch einmal die Frage stellen, was wohl geworden wäre, wenn die Fürsten das Jahr 1918
überlebt hätten. Hätte ihre von altersher überkommene und offensichtlich noch sehr lebendig vorhandene
Verpflichtung, Schutzherr der Juden zu sein, ausgereicht zu verhindern, was dann geschehen ist?

Zum Schluß noch einige Worte zum Gesamtwerk. Die vier Bände (1 und 2 erschienen 1968 und 75) sind
hervorragend ediert, mit erläuternden Anmerkungen und Querverweisungen, mit Hinweisen auf Literatur
und weitere Dokumente versehen. Nur ein Gesamtregister fehlt. Wer über die ersten Jahrzehnte des
Kaiserreichs arbeitet, wird sie sicher mit Gewinn einsehen. Allerdings wird er die Neuigkeiten im
wesentlichen in den Details zu suchen haben. Die Linie der Großherzog und das Reich bzw. Land und
Reich ist durchgehalten, tritt in den beiden letzten Bänden mit ihren zahllosen, freilich oft auch zu
langatmigen Berichten aus Berlin und Karlsruhe, teilweise auch aus München eher noch stärker hervor.
Dabei sollte die Quantität freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Einfluß der Länder noch
schwächer, das Reich dominierender geworden ist. Für Baden blieb, daß es sich als Vorreiter der
Nationaleinigung weiterhin als besonders reichstreu gab. Mit Gewinn wird man den Bänden auch
entnehmen oder es wenigstens versuchen, wie die Informationswege zwischen Berlin und den Landeshauptstädten
liefen, wie zwischen den Ländern selber, was es noch an Kontakten zwischen Landesfürsten
gab und für den Großherzog speziell, ob ihm seine Verwandtschaft zum Kaiserhaus ein Mehr an
Informationen und Einfluß brachte. Hervorgehoben sei ferner, daß - thematisch bedingt - in den vier
Bänden im wesentlichen die Führungsschicht aus Reich und Ländern zu Wort kommt. Was nicht
dazugehört, ist entweder nicht existent oder es bildet den das Reich bedrohenden Hintergrund wie
Klerikale und Sozialisten. Und hier mag wohl auch ein wesentlicher Beitrag zur Biographie des Fürsten und
des deutschen Fürstentums überhaupt liegen. Friedrich I. stand 55 Jahre an der Spitze Badens. Dank des
monarchischen Prinzips, aber auch kraft seiner Persönlichkeit blieb er der entscheidende Mann im Staat, im
übrigen von weitesten Teilen der Bevölkerung geachtet und geliebt. Sein großes Verdienst, daß er um 1860
mit der Berufung der Liberalen in die Regierung sein Land endgültig zum liberalen Musterländle gemacht
hat. Nur dabei blieb es auch. Eine weitere Wende, Baden im Gefolge der Industrialisierung, der
Entwicklung zur Industrie- und Massengesellschaft zeitgemäß zum demokratischen Musterländle zu
machen, lag nicht in seinem Sinn, nicht zuletzt ein Grund dafür, daß die Fürsten das Jahr 1918 nicht
überlebten. Die Tragik des Hauses in Baden dann dies, daß ausgerechnet Prinz Max von Baden, der Sohn
jenes Fürsten, der einst in Versailles das Hoch auf den Deutschen Kaiser ausbrachte, die Abdankung des
Kaisers zu verkünden und das Amt des Reichskanzlers an den Sozialdemokraten Friedrich Eben zu
übergeben hatte. Und so liest sich das Werk bei allem Respekt vor seinem Informationswert und aller
Achtung vor einem der bedeutendsten Fürsten des 19. Jahrhunderts eben auch wie ein Abgesang des
deutschen Fürstentums.

Mainz Hugo Lacher

Klaus-Jürgen Matz: Pauperismus und Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschränkungen in den süddeutschen
Staaten während des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Klett-Cotta 1980. 311 S. (Industrielle Welt
Band 31).

Matz hat sich einer Thematik angenommen, die zu den Schattenseiten des 19. Jahrhunderts gehört, den
Ehebeschränkungen in den süddeutschen Staaten. Zum Ausgangspunkt nahm er das Einfließen französischen
Rechts in der Rheinbundzeit, mit dem ältere Ehebeschränkungen fielen, so daß das Heiraten
praktisch jedermann möglich wurde. Diese Liberalität sollte dann in dem Maß suspekt werden, wie der
Pauperismus mit Überbevölkerung, Massenelend und Überlastung der kommunalen Armenkassen die
Bevölkerung zu beunruhigen begann. In einem zentralen Kapitel beschreibt denn Matz auch den geistigökonomischen
Hintergrund der Zeit, in einem weiteren die Rezeption des berühmten Bevölkerungsessays
von Malthus, der zwar keine Eheverbote vorsah, hier aber, und zwar quer durch alle Parteien in dieser
Richtung wirkte. Eine erste Welle der Beschränkungen ging dann von den Gemeinden, bzw. den Landtagen
aus, die die widerstrebenden Regierungen zu ersten Gesetzen zwangen, eine zweite und härtere von den
Regierungen, denen die Revolution von 1848/49 die Gefährlichkeit der Unterschichten gezeigt zu haben
schien. Das Ende kam dann spätestens mit der Reichsgründung. So wenig nun diese Erscheinung als ein
zentrales Thema der gesellschaftlichen Entwicklung anzusehen ist, so aufschlußreich - und Matz hat dies
eindrucksvoll herausgearbeitet - ist sie doch für die Physiognomie des 19. Jahrhunderts, einer - wenigstens

299


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0301