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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1982/0302
Neues Schrifttum

zunächst noch - weitgehend mittelständisch geprägten Gesellschaft und ihren mannigfachen Ängsten,
denen die Gesetze denn auch entsprangen. Ebenso überzeugend ist dargetan, daß die Gesetze wenig
brachten, daß sie die Armenkassen kaum entlasteten, die Ehequote und das Bevölkerungswachstum zwar
drückten, andererseits aber auch die Zahl der unehelichen Kinder zum Teil enorm ansteigen ließen, daß sie
viel persönliches Leid schufen, manchen jungen Mann aus dem Land trieben, politisch wie moralisch daher
verfehlt waren. Insgesamt somit eine Arbeit, die sorgfältig recherchiert ist, dicht am Thema bleibt und
gediegene, vielfach tabellarisch aufgearbeitete Ergebnisse bringt. Hervorgehoben sei die Liste mit
Pauperismusliteratur. Trotzdem noch eine Anmerkung zu Bayern, das auch bei Matz insofern eine
Sonderstellung einnimmt, als da doch manches sehr viel anders war. So lag bereits 1831, also noch bevor die
Restriktionen griffen, die Zahl der unehelich Geborenen bei 21,53 % gegen 12,08 in Württemberg. Da Matz
nun nicht auf die Ursachen dieser enormen Unterschiede eingeht, sei noch auf die nicht genannte Arbeit von
W. Robert Lee hingewiesen: Population growth, economic development and social change in Bavaria
1750-1850, New York: Arno Pr. 1977. Die ungemein differenziert gearbeitete Untersuchung behandelt ein
Jahrhundert voller Umbrüche, darunter auch die »sexual revolution« in den Unterschichten mit erkennbar
emanzipatorischem Effekt gegenüber den überkommenen Gewalten wie Staat und Kirche, wobei in Bayern
im Gefolge der Säkularisation die katholische Kirche naturgemäß einen besonders hohen Autoritätsverlust
hinnehmen mußte. Mit diesem Hang zur »Unsittlichkeit« - so das bürgerliche Verdikt - war nun in der Tat
jene Haltung vorgegeben, an der auch die staatliche Repression scheitern sollte. Von Interesse wäre in
diesem Zusammenhang natürlich auch gewesen, vergleichend zu klären, wie weit und vor allem wie
unterschiedlich die außerehelichen, besser-eheähnlichen Beziehungen trotz aller Verfehmung durch Staat
und Kirche wie auch durch das rechtschaffene Bürgertum gesellschaftlich akzeptiert waren. Folgt man Lee,
dann war die weithin noch ländliche Bevölkerung in Bayern, wo übrigens die unehelichen Kinder bis weit
ins 19. Jahrhunden hinein den Namen des Vaters erhielten, weniger kleinlich. Die Folgen liegen auf der
Hand und viceversa dann natürlich auch, daß hier der Staat und insbesondere die Gemeinden besonders hart
reagieren zu müssen glaubten.

Mainz Hugo Lacher

Manfred Scheck: Zwischen Weltkrieg und Revolution. Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Württemberg
1914-1920. Köln, Wien: Böhlau 1981. 365 S. (Dissertationen zur neueren Geschichte Band 10).

Auf Grund seiner sozialen Struktur erwies sich das Württemberg des Kaiserreichs als ein für die
Sozialdemokratie schwer zugängliches Land. So lag noch 1912, als die SPD im Reichstag zur stärksten
Fraktion wurde, ihr Stimmenanteil in Württemberg weit unter dem Reichsdurchschnitt. Trotzdem zeigten
sich auch hier schon früh die für die SPD typischen Flügelkämpfe zwischen Reformisten und Radikalen, die
dann gerade in Württemberg schon zur Jahreswende 1914/15, also früher als im Reich, zur Spaltung
führten. Neben den sozialistischen Parteien waren dann noch die Gewerkschaften ein wesentlicher
Bestandteil der Arbeiterbewegung. Scheck hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Weg der Arbeiterbewegung
in Württemberg in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung nachzuzeichnen. Dank reichlich
vorhandener Quellen konnte er dies bis ins Detail tun, wie auch den Anteil der führenden Köpfe wie etwa
Bios und Keil für die Rechte und Nichtwürttemberger wie Westmeyer, Clara Zetkin oder Crispien für die
Linke herausarbeiten. Verzichtet hat er von vornherein, einen roten Faden der Theorie in seine Darstellung
zu flechten mit dem Gewinn, daß Fakten und Geschehen eine umso beredtere Sprache sprechen. Auf der
einen Seite der reformistische Flügel, der auf eine Weise auf die Mitarbeit im bestehenden Staat
programmiert war, daß er an diesem Kurs auch noch nach dem Umsturz insofern festhielt, als etwa Bios, der
erste Staatspräsident, schon in die erste provisorische Regierung auch bürgerliche Minister aufnahm. Dann
die Gewerkschaften, denen das kriegsbedingte Entgegenkommen der Regierenden, Unternehmer und vor
allem der militärischen Führung eine weitestgehende Integration in die bestehende Ordnung erleichterte,
eine Anpassung freilich, mit der sie nach dem Umsturz infolge einer zunehmenden Radikalisierung der
Arbeiter in arge Bedrängnis gerieten. Schließlich die Linke, parteipolitisch die USPD, die in sich selbst
wieder zerstritten war. Am radikalsten die Spartakisten, die kompromißlos auf die Revolution hinarbeiteten
, damit einen Kurs verfolgten, der je länger je mehr in dem im Grunde konservativen Land auf einen
diskreditierenden »Putschismus« hinauslief. Am Ende dann jene Spaltung, die zur Gründung der KPD
führte. Eine Sondererscheinung der Revolution waren die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, denen
Scheck eine positive Arbeit bescheinigt, aber auch dartut, daß sie von niemandem so recht einzuordnen

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