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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0218
Neues Schrifttum

gegen diese Veränderungen enge Grenzen zieht. Hans Medick diskutiert ausgehend von einer subtilen
Analyse der beiden Kupferstiche >Ginlane< und >Beerstreet< von William Hogarth die Bedeutung von
demonstrativem Statuskonsum in der plebejischen Kultur und Öffentlichkeit und zeigt auf, wie dieser in
spezifischer Weise zurückbezogen ist auf die Familienökonomie der städtischen und ländlichen Unterschichten
und deren Arbeits- und Lebensverhältnisse. Norbert Schindler zeigt in seinem Beitrag über
Freimaurerkultur im 18. Jahrhundert, wie die Logen als Schmelztiegel und Assimilationsagenturen von
Adel und aufsteigendem Bürgertum wirkten. Er arbeitet vor allem aber die soziale Produktivität des
freimaurerischen Rituals als eines Theaters der Moral wie auch der freimaurerischen Geselligkeit bei der
Herausbildung bürgerlicher Moral und der Einübung bürgerlicher Verhaltensmuster heraus. Robert
Berdahls Aufsatz über den Begriff des >Standes< veranschaulicht, wie dieser Begriff in seinen verschiedenen
Bedeutungsdimensionen die gesellschaftliche Vormachtstellung des Adels zusammenfaßte und stützte,
andererseits aber als Idiom zur Beschreibung und Wahrnehmung der Gesellschaft das gesellschaftliche
Bewußtsein auch anderer Schichten der preußisch-deutschen Gesellschaft so stark imprägnierte, daß auch
Bauern und Bürgertum Gesellschaft im Licht dieser Kathegorie wahrnahmen und sich daran orientierten.
Im letzten Beitrag des Bandes setzt sich Alf Liidtke mit gängigen Vorwürfen gegen >Alltagsgeschichte<
auseinander - Alltagsgeschichte klammere Politik aus und führe zu einer Entpolitisierung; sie ergehe sich in
einem antiquarischen Interesse an pittoresken Details - und plädiert für einen Politikbegriff, der nicht nur
langfristig orientierte Durchsetzung von Interessen und darauf bezogene kollektive Organisation als
politisch begreift. Die Bedeutung eines Aufspürens des Politischen im Alltag macht er deutlich am Beispiel
der Auseinandersetzungen um Arbeitspausen in Fabriken des 19. Jahrhunderts.

Die meisten der Beiträge des Bandes sind dadurch gekennzeichnet, daß sie ihren methodischen Zugriff
ausführlich erklären und methodische und theoretische Überlegungen enthalten - verwiesen sie vor allem
auf die Beiträge von Sider, Medick und Sabean -, die häufig über das jeweilige Thema hinausreichen. Sie
entschädigen damit den Leser auch für die Knappheit der Einleitung, die man sich nicht nur als die
Klammer, die den Band zusammenhält, ausführlicher gewünscht hätte, sondern in der man gern auch mehr
erfahren hätte über die spezifischen methodischen Ansätze der Sozialanthropologie. So bleibt das Bild
dieser Wissenschaft, mit der die Chancen und Grenzen einer Kooperation erprobt werden sollen, doch
etwas blaß.

Insgesamt aber bietet der Band über die Ergebnisse der einzelnen Beiträge hinaus eine Fülle von
Anregungen. Er ist ein Plädoyer für neue Sichtweisen und sensiblere Interpretationen für den genauen Blick
des Historikers, der ähnlich wie der Anthropologe im räumlich wie im zeitlich Entfernten zuerst dessen
Eigen-Sinn zu erkennen und es nicht vorschnell als das schon Bekannte und Vertraute zu vereinnahmen
sucht, ein Plädoyer für eher mikroskopisch angelegte Analysen, die ihre Stärken gerade in der regionalen
Sozial- und lokalen Gesellschaftsgeschichte zu entfalten vermögen.

Sigmaringen Eberhard Elbs

Rainer Wirtz: »Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte und Skandale.« Soziale Bewegung und
gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815-1848. Frankfun a.M. Berlin, Wien: Ullstein 1981. 314 S.

Baden im 19. Jahrhunden: »liberales Musterländle« und »Schule des vormärzlichen Liberalismus« -
dieses von der Geschichtswissenschaft lange Zeit liebevoll gezeichnete Bild beginnt in den neueren Arbeiten
zur badischen Landesgeschichte des 19. Jahrhunderts matter zu werden; verwiesen sei hier nur auf die
Arbeiten von Lothar Gall. Gleichwohl hat dieses Bild, das durch eine Konzentration auf die politische
Geschichte und auf die 48er Revolution in Baden geprägt ist, den Blick auf andere Aspekte badischer
Geschichte, vornehmlich auf die Sozialgeschichte des vormärzlichen Baden verstellt und sie nur als
Vorgeschichte des politischen Liberalismus thematisiert - und verzeichnet.

Rainer Wirtz' Arbeit, entstanden als Dissertation in dem von Dieter Grob an der Universität Konstanz
geleiteten Forschungsprojekt »Basisgeschichte und Organisationsproblem« möchte über die Analyse
sozialen Protests zu einer derartigen Sozialgeschichte beitragen, wobei gleich anzumerken ist, daß damit
nicht Sozialgeschichte als Sektorwissenschaft, sondern als umfassende Gesellschaftsgeschichte gemeint ist,
die gesellschaftliche und politische Probleme und Konfliktlagen von den dahinter stehenden gesellschaftlichen
Prozessen, aber auch von den Verwerfungen zwischen denselben und dem politischen System her zu
begreifen und zu verstehen sucht.

Erklärte Absicht des Autors ist es aber außerdem, einen Beitrag zur Erforschung sozialen Protests zu

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