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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0126
Manuel Werner

Bäckerei81, eine rituelle Gastwirtschaft82 und eine Armenunterstützung. In der Gemeinde
waren (Stifts- und Gemeinde-) Rabbiner, Vorsänger und Kantoren, Schächter, Tora-Schreiber,
Hauslehrer, Lehrer und Rabbinatsverweser ansässig83. Heute künden nur noch die profanierte
Synagoge und das ehemalige Schul- und Gemeindehaus (Judenschul) in der Goldschmiedstraße
sowie der Friedhof am Galgenrain mit Friedhofshalle von dem einst blühenden und vielseitigen
Leben der damaligen israelitischen Gemeinde.

Religiöse Strömungen und Indifferenz innerhalb der Gemeinde

In der Geschichte der Israeliten Hechingens gab es eine große Bandbreite religiöser
Einstellungen, die sich von strenger »Orthodoxie«84 mit gewissenhafter Toratreue bis hin zu
Gleichgültigkeit erstreckte. Ursprünglich trat die Gemeinde wohl geschlossen toratreu auf.
Zwischen Judentum und (katholischem) Christentum gab es massive Vorbehalte. Als
Gemeinde in der Diaspora wurde anfangs großer Wert auf die traditionellen Unterscheidungszeichen
, wie die Feier des Sabbats und jüdischer Festtage, eigener Kalender, eigene Sprache
(hebräisch und jiddisch), rituelles Schlachten, kultische Eß- und Reinheitsgebote, gelegt, die
einer Assimilation entgegenwirkten, eine Absetzung von der Umwelt bezweckten und den
Erhalt des Judentums ermöglichten. Eine Folge der Aufklärung waren rationale, sekundäre
Begründungen für religiöse Praktiken, deren ursprünglicher Sinn weitgehend verschüttet war.
Liberale, reformerische Tendenzen (Emanzipationsbestrebungen und Reformjudentum) sind
besonders seit dem Wirken Rabbiner Mayers erkennbar; zionistische85 Bestrebungen waren
dagegen kaum verbreitet. Eher schloß sich ein Großteil der Gemeindemitglieder allmählich der
deutschnationalen Bewegung an. Vor allem seit dem 19. Jahrhundert ist Ausrichtung und
Angleichung an die vorherrschenden christlichen Religionen und deren Bräuche (Assimilation),
seit dem 20. Jahrhundert starke Eindämmung traditionell toratreuen Judentums zu beobachten
. Religiöse Indifferenz machte sich immer mehr breit. Die unterschiedlichen Strömungen
führten oft zu mancherlei Spannungen und Polarisierungen innerhalb der Gemeinde. Rabbiner
Samuel Mayer beschreibt die Zustände in der israelitischen Gemeinde um 1825 wie folgt:
»Einen Mittelstand gab es nicht, denn auf der einen Seite herrschte talmudische Gelehrsamkeit,
die durch die Talmud-Tora-Brüderschaft (Schas-Chebra) befördert wurde, und auf der anderen
Seite war oft die größte Unwissenheit. Dort war brutaler Stolz und Eigendünkel, und hier

81 Nach dem Akteninventar der Israelitischen Gemeinde Hechingen (Lagerort: SAH, Aktenplan 5422)
bestand eine solche von 1829 bis 1851.

82 Vom 11. März 1848 sind Krawalle in der israelitischen Wirtschaft Zum Reh (Wirt Marx Haiden) am
Rain überliefert. (Vgl. ChH II, S. 258).

83 Vgl. die Abschrift eines Fragebogens zur Geschichte der Hechinger Juden (Lagerort: SAH) und C,
S. 224.

84 Gemeint ist eigentlich Orthopraxie. Als Kriterium gelten nicht so sehr die Glaubensanschauungen, als
vielmehr die Lebensweise, das richtige Tun. (Siehe hierzu: Hubertus Halbfas, Lehrerhandbuch Religion.
Düsseldorf 1981, S. 572). Allerdings ist es wiederum falsch, das Judentum lediglich als äußerliche,
ritualistische Religion anzusehen. Unter dem Begriff »Orthodoxie« faßt man heute allgemein die jüdischen
Richtungen, die in entschiedener Ablehnung von Aufklärung, Emanzipation, Reformjudentum und
Assimilation strikt an der traditionellen Frömmigkeit und weitgehend auch einer entsprechenden Lebensweise
festhalten. Im Folgenden verwende ich statt des gängigen, aber mißverständlichen Begriffs
»orthodox« - in Anlehnung an Dr. Reinhold Mayer - als synonyme Bezeichnung »toratreu«. (Der
Ausdruck »konservativ« wäre zwar ebenfalls angemessen, gibt aber - da er eine eigenständige Strömung
zwischen Reformjudentum und Toratreue in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt -
zu weiterer Mißdeutung Anlaß). Vgl. KLJ, S. 229f. und S. 179.

85 Im weitesten Sinne die religiös-politische bzw. messianisch-eschatologische Orientierung am Land
Israel als dem »Heiligen Land« und dem Land der Väter. (Vgl. KLJ, S. 324f.)

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