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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0127
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

gemeine Rohheit, die, durch die bewiesene Verachtung gereizt, nicht selten thatsächlichen
Widerstand zu leisten suchte, ganz wie es schon zur Zeit der Talmudisten war«86.

Der emanzipatorische Rabbiner Mayer selbst, der das Amt des Rabbiners dem des Pfarrers
anzugleichen suchte, vertrat eher reformerische Tendenzen (Bewegungen des Reformjudentums
) und mußte sich deshalb des öfteren mit Anhängern des streng toratreuen Judentums
auseinandersetzen, so z. B. bei liturgischen Änderungen nach zeitgemäßen Grundsätzen (1836)
und bei der Einführung einer neuen Synagogenordnung (1839). Am 26. Dezember 1869 wurde
ein Beschluß wegen des Schmaune-Esre-Gebets*7 und des Lecho-Daudiss mit sechs gegen vier
Stimmen (Gemeindevorstand) abgeändert. Auch wegen der Einführung eines dreijährigen
Zyklus der Sabbatvorlesungen kam es im Jahre 1884 zu Beschwerden aus der Gemeinde.

Zu Beginn der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es zwei Gruppen: die traditionell
Toratreuen und die Reformjuden. So schrieb der evangelische Pfarrer Robert Moser:

»Nicht die modernen Reformjuden, die sich über alles wegsetzen, sondern diejenigen,
welche sich streng an die Satzungen der väterlichen Religion hielten, altgläubige Juden, welche
aufrichtig und einfältig dem Gott Abrahams dienten und im Handel und Wandel die
Vorschriften der Thorah respektierten, nahmen unser Interesse in Anspruch«89.

Zu dieser Zeit war also die Gruppe der Toratreuen noch bedeutend, während ein halbes
Jahrhundert später nur noch der Vorsteher der jüdischen Gemeinde als strenggläubig und
toratreu galt. Auch waren die Fronten zwischen den hiesigen Religionen nicht mehr so verhärtet
wie früher.

August Vezin schreibt über die Einstellung des letzten jüdischen Rabbinatsverwesers und
Religionslehrers: »Nach einigen Jahren [1908] kam als jüdischer Religionslehrer der Rabbinats-
verweser Schmalzbach zu uns [ins Lehrerkollegium des Staatlichen Gymnasiums Hechingen]
aus Galizien. Denn wenn auch von der jüdischen Elite nur einer noch, der alte Jakob Levi in
dem Haimb'schen Hause am Markt, als streng gesetzestreu galt, von ihrem Rabbinatsverweser
verlangte sie nicht nur Gesetzeskunde, sondern auch Gesetzeserfüllung und dafür bot nur die
Herkunft aus dem Osten Garantie«90.

An Kreisschulinspektor Overmeyer berichtete Jacob Levi, der Vorsteher der Gemeinde, bei
der Anstellung eines neuen Lehrers müsse in erster Linie die Befähigung desselben zum
Vorsängerdienste in Betracht gezogen werden; denn nur ein guter Gottesdienste, besonders nach
der gesanglichen Seite, könne einigermaßen Gewähr dafür bieten, daß der in der jüdischen
Gemeinde herrschende religiöse Indifferentismus nicht weiter um sich greife. Dies gab Overmeyer
dann am 17. September 1908 an die Königliche Preußische Regierung in Sigmaringen
weiter91.

Bei der Besetzung der Lehrerstelle, mit der das Amt des Vorsängers verbunden war, gab also
die Begabung als Sänger den Ausschlag. In einem schönen, erhebenden Gottesdienst sah die
Kultusverwaltung der israelitischen Gemeinde das einzige Mittel, auch die Lauen ins Gottes-

86 M, Sp. 541 (535).

87 Shemoneh 'äsreh = Achtzehngebet. Einer der Hauptbestandteile des Synagogengottesdienstes.
Stehend gebetete Benediktion in verschiedenen Fassungen. Es entstand mit Sicherheit in vorchristlicher
Zeit. (Vgl. KLJ, S. lOf.)

88 Lekah Dodi = »Geh mein Geliebter [der Braut entgegen]«. Anfangsworte eines synagogalen Gedichts
von Salomo ben Mose Alqabetz. Thema ist die symbolische Einholung und Begrüßung der Sabbatbraut vor
Beginn des eigentlichen Synagogengottesdienstes am Freitagabend. (Vgl. KLJ, S. 187 und 263).

89 Robert Moser, Auch ein schwäbisches Pfarrersleben. 1889. III. Teil, 1. Heft: Einige Jahre in
Hechingen, in der preußischen Landeskirche, S. 15. Lagerort: HHBH S. 3. - Siehe auch Kapitel XII.
Verhältnis der Religionen zueinander.

90 August Vezin, Mein Einstand in Hechingen. In: 50 Jahre Staatliches Gymnasium Hechingen. 1959,
S. 76.

91 Lagerort: StAS Ho 235 I - XI 1437 Bl. 11.

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