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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0233
Besprechungen

»... Die Freiheit ist noch nicht verloren«. Zur Geschichte der Arbeiterbewegung am Oberrhein 1850-1933.
Hrsg. vom Arbeitskreis Regionalgeschichte Freiburg. Freiburg i. Br.: Dreisam-Verlag 1983.

Mit diesem Aufsatzband hat sich der Arbeitskreis Regionalgeschichte Freiburg, »ein lockerer Zusammenschluß
von Studenten, Lehrern und Hochschullehrern« (S. 5), einem bisher wenig beackerten Gebiet
gewidmet. Zwar liegen etwa von Jörg Schadt wichtige Arbeiten z. B. zur Geschichte der badischen
Sozialdemokratie vor. Diese und andere auf Landesebene ausgerichtete Arbeiten können jedoch meist nicht
den jeweiligen regionalen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Bedingungen, Alltagsproblemen und
politischen Verhaltensweisen der Arbeiterschaft erfassen. Aufgrund der übermächtigen Rolle des nordbadi-
schen Industriezentrums Mannheim auch in der badischen Arbeiterbewegung kommen die Verhältnisse in
Südbaden zwangsläufig zu kurz. »Hier war doch gar nichts los!« Dieses Vorurteil gegenüber der Geschichte
der Arbeiterbewegung in der oberrheinischen Provinz weist Heiko Haumann in seinen Reflexionen über
»Eine Regionalgeschichte der Arbeiterbewegung in der Provinz« entschieden zurück. Ereignisse wie etwa
der Lörracher Generalstreik vom September 1923 erregten reichsweit Aufmerksamkeit. Doch es geht
Haumann und den Autoren nicht (nur) um spektakuläre Ereignisse: Die alltägliche Lebensbewältigung der
Arbeiter soll miteinbezogen werden. Auch »wenn alles >ruhig< gewesen, nichts >Auffallendes< zu berichten
wäre, müßte... dieser Tatbestand erklärt und der Gegenwart überliefert werden - als Teil unserer >eigenen<
Geschichte« (S. 9). >Eigene< Geschichte ist das Stichwort. Haumann sieht das Potential einer Regionalgeschichte
darin, die Perspektive der Betroffenen, Leidenden und Handelnden in der Darstellung vergangener
Zustände anschaulich zu machen. Angestrebt wird eine Regionalgeschichte >von unten<, eine parteiliche,
aber nicht mit Scheuklappen versehene Geschichte, die zur politischen Traditionsbildung beiträgt, ohne
Mythen zu produzieren. Zusammenfassend fordert Haumann: »Regionalgeschichte darf sich nicht
abkapseln, sie muß die Erfahrung anderer Räume vergleichend mitbetrachten und die Wechselwirkungen
zwischen regionaler und übergreifender Geschichte zumindest im Blickfeld haben, auch über ihre
Fachgrenzen hinaussehen. Regionalgeschichte, die einen Teil der >eigenen< Geschichte eines jeden bewußt
machen will, kann so der Gefahr entgehen, in einer unkritischen Beschönigung oder gar Verherrlichung der
regionalen Verhältnisse stecken zu bleiben« (S. 13).

»Industrialisierung, Arbeiterleben und Arbeiterbewegung vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg
« füllen den ersten größeren Aufsatz des Bandes. Im Abschnitt »Industrialisierung und Arbeiterleben«
skizzieren Eva-Maria Gawlik-Sutter und Wolf-Dieter Sutter eher allgemein Grundzüge der Industrialisierung
in Baden, wobei sie die Dominanz der Textilindustrie in der Frühphase und die dezentrale
Industriestruktur hervorheben, die zum Phänomen des >Arbeiterbauem< führte. Freiburg selbst wird als
Verwaltungszentrum und als landwirtschaftliches und handwerkliches Handelszentrum mit relativ wenig
Großindustrie geschildert. Recht plastisch beschreiben die Autoren die Veränderung der sozialen
Topographie der Stadt im Gefolge von Industrialisierung und Kommerzialisierung: Die Oberschicht
verläßt den mittelalterlichen Stadtkern, Villenviertel entstehen, die Unterschicht wird aus Kellern und
Dachwohnungen der Innenstadt verdrängt, ein ungeheurer Mangel an billigem Wohnraum führt in den
1860er Jahren zum Bau von Werkswohnungen durch die größeren Betriebe. Dabei wird die erste
Arbeitersiedlung Badens gebaut, die >Knophäusle< der Knopffabrik Risler.

Im Abschnitt »Die Arbeiterbewegung« schildern Sabine und Hans Imlau die Entwicklung der
Arbeiterbewegung in Freiburg aus Kranken- und Unterstützungskassen heraus. Am Beispiel der Seidenzwirnfabrik
Mez, die für über 100 Arbeiterinnen eine eigene >Pensionsanstalt< unterhielt, wird das System
des Paternalismus anschaulich. Der Unternehmer zeichnet eine Fabrikordnung gar selbst mit »Karl Mez,
Vater« (S. 37). In einer etwas ahistorischen Weise reduzieren die Autoren die Aufgabe des 1861
gegründeten Arbeiterbildungsvereins auf das Fernhalten der Arbeiter und Handwerker von der sozialistischen
Arbeiterbewegung: »die Bildungsarbeit (des Vereins, D. S.) läuft nicht auf proletarisches Bewußtsein
und damit Emanzipation der Arbeiterklasse hinaus, sondern sie soll der Schlüssel zum sozialen Aufstieg
sein und die Integration ins Bürgertum gewährleisten« (S. 38). Tatsächlich entwickelte sich die sozialistische
Arbeiterbewegung doch vielfach aus diesen Vereinen in einem langwierigen und mühsamen Prozeß der
Abnabelung und Standortbestimmung. Erst als sich der von den liberalen Führern dieser Vereine
propagierte individuelle Aufstieg für die große Mehrheit immer deutlicher als Illusion offenbarte und
dagegen der Aufstieg der Klasse zur realistischen Alternative wurde, konnte die sozialistische Arbeiterbewegung
breiteren Zulauf erhalten. Als drei lassalleanische Agitatoren im Februar 1869 in Freiburg eine
Versammlung abhielten, kamen die Freiburger Arbeiter erstmals mit der sozialistischen Arbeiterbewegung
in Kontakt. Festigen konnte sich die Sozialdemokratie in Freiburg allerdings erst während des Sozialistengesetzes
, 1890 erhielt sie 11 % der Stimmen im Wahlkreis Freiburg. Nach einer Skizze der Entwicklung von

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