Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0108
Manuel Werner

Armenunterstützung als religiöse Pflicht der Juden729

Die Angehörigen der Hechinger israelitischen Gemeinde unterstützten ihre armen, bedürftigen
Glaubensgenossen aus religiösen Gründen und betrachteten einen Entzug der wohltätigen
Gaben, eine Vorenthaltung der Spenden als Sünde. So gibt Rabbiner Mayer folgende Begründung
für die Austeilung milder Gaben und für die Gastfreundschaft: »Der Aufenthalt der unstet
umherirrenden Gäste wurde aus Sanitäts-Gründen lange nicht gestattet, was den ansäßigen
Glaubens-Genoßen großen Kummer verursachte, denn sie glaubten, daß, da sie selbst nur auf
unbestimmte Zeit geduldete Wanderer seien, sie nur Ruhe und Schutz für die den Wanderern zu
erzeigende Gastfreundschaft erhalten werden«731. In einem Schreiben an die fürstliche Regierung
vom 9. April 1845 führt Mayer aus: Man fühlt sich daher veranlasst, hey Hochpreißlicher
Regierung Vorstellungen zu machen, denn... die Israeliten [spenden] diese Gaben nicht nur mit
Vergnügensondern [halten] es auch für eine religiöse Sündeden alten, gebrechlichen und
zu allem Erwerbe unfähigen Personen die Unterstützung zur festlichen Begehung der Feyertage
zu entziehen,...«712. Im Leitfaden für den israelitischen Religionsunterricht733 wird als eine der
vornehmsten Pflichten gegen den Mitmenschen die Barmherzigkeit und Mildtätigkeit unter
Verweis auf Jes 58,7 angeführt (Frage 13, Ziffer2).

Die Armenpflege der jüdischen Gemeinde war von jeher sehr gut entwickelt. Sie erstreckte
sich sowohl auf fremde als auch auf einheimische Glaubensgenossen734.

Unterstützung fremder Glaubensgenossen durch die israelitische Gemeinde

Von den fremden Israeliten erhielten 1769 die bekannten Armen aus den umliegenden
israelitischen Gemeinden wie Haigerloch, Dettensee, Mühringen, Rexingen usw. zu Ostern735,
Pfingsten736, Neujahr737 und Purim™ sogenannte Bettelbriefe739. Aus dem Jahr 1804 ist
überliefert, daß in jener Kriegs-Zeit viele Betteljuden740 die Stadt Hechingen durchzogen. In
den von Fürst Hermann Friedrich Otto (1798-1810) erlassenen Kriegsartikeln wurde das
Militärkontingent angewiesen, »das Aus- und Einlaufen des Bettelvolks und der Betteljuden an
den Toren zu überwachen«741. Mit Frau und Kind umherziehende heimatlose Juden, die
Spitzen, Bändel, Messer, Gabeln, usw. verkauften und dabei bettelten, wurden Packenträger
genannt. Sie durften in der Stadt selbst nicht übernachten, hatten aber freie Schlafstatt in einem

729 Die Unterstützung der Armen ist im Judentum ein wichtiges Gebot (siehe Dtn 15,11).

730 In Klammern folgt bei Mayer das Wort »Arachim« (Gäste) in hebräischen Buchstaben. Die
Ubersetzung verdanke ich Herrn Reinhard Neudecker vom Pontificio Istituto Biblico, Rom.

731 M, Sp. 506.

732 Bericht des israelitischen Kirchen- und Gemeinde-Vorstandes, ex officio, betr. die israel. Armen aus
benachbarten Gemeinden vom 9. April 1845 an die Fürstliche Regierung. - Lagerort: StAS Ho 6 312. - Der
Text ist weiter unten vollständig zitiert.

733 Lagerort: HHBH, R. 8.4.

734 Eine jüdische Gemeinde weiß sich in ihrer Gesamtheit für jeden einzelnen verantwortlich: Ortsarme
werden aus der »Kasse«, Durchreisende aus der »Schüssel« versorgt (vgl. Reinhold Mayer, Der Talmud.
München 1980, S.461).

735 Gemeint ist Pesach, dem das christliche Osterfest entspricht.

736 Gemeint ist Shabu'ot, dem das christliche Pfingstfest entspricht.

737 Ro'sh ha-Shana.

738 Losfest.

739 Vgl. S, S.222.

740 Ein soziales Problem in der Neuzeit und im 19. Jahrhundert waren die sogenannten Betteljuden. Der
rasche Bevölkerungszuwachs im aschkenasischen Judentum überstieg bald die ohnehin eng begrenzten
Erwerbsmöglichkeiten. Bis zu einem Drittel der jüdischen Bevölkerung mancher mitteleuropäischer
Gebiete waren Betteljuden, die sich als fluktuierendes Element um die Ortsgemeinden der Niederlassungsberechtigten
scharten - oft eine schwere Belastung für diese und ein Stein des Anstoßes für die Umwelt (Vgl.
KLJ, S.55).

741 ChHII, S. 201.

104


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0108