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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0141
Die Juden in Hechingen als religiöse Gemeinde

Zeit dem Volke Gottes gehöre, und die armen Goiim912, die Christen wie die Amalekitter913
und Kanaanitter einst, seine Sklaven sind«914.

Pfarrer Diebold glaubte nicht so recht an die Möglichkeit, den Schacherhandel radikal
auszutilgen. Man habe anderwärts den Juden viele, beinahe alle Rechte eingeräumt, vom
Schacherhandel habe man sie jedoch nicht abbringen können, »er scheint ihre hartnäckigste
Erbsünde zu seyn«915. Er meint, daß man Vorstellungen einreichen und Protest gegen »die zu
große Freigebigkeit« mit dem Gnadenschutz einlegen solle. Der Gnadenschutz sei »für die
Juden und für die Christen gleich nachtheilig«916. Nur ein Drittel der geschützten Judenfamilien
könne sich - nach glaubwürdigen Versicherungen - im Fürstentum ernähren. »Was nützt
nun die andern Zweidrittheile der Gnadenschutz oder überhaupt der Schutz; sie müssen ihr
Brod unbeschützt im Auslande suchen.« Wenn man dies dort nicht mehr dulde, »was thun sie
dann mit ihrem Schutzbrief? dann muß man sie hier haben... und im Nothfalle noch ernähren;
denn man darf sie weder verschmachten lassen, noch todt schlagen, noch aus dem Lande
vertreiben.« Deshalb schlage er vor, ihnen, »so lange sie so Juden sind wie jetzt«, nicht zu
gestatten, »sich willkürlich zu verehelichen und zu vermehren«917. Auch gegen das wohlbegründete
Recht des Fürsten »darf man Einsprache erheben, namentlich gegründete und
bescheidene«918. Das den Juden abverlangte Schutzgeld betrachteten die meisten Abgeordneten
»als einen traurigen Rest roherer Jahrhunderte« und »den lojalen Grundsätzen des 19ten
Jahrhunderts zuwider«. Daß die Juden »nebst ihren vielen anderweitigen Lasten auch noch
diese, durch nichts als das Herkommen gerechtfertigte, zu tragen haben«, sei als »ein lautes
Zeugniß der intolleranten und inhumanen Gesinnungsweise älterer Menschengeschlechter sehr
verwerflich«919. Die Juden seien »noch härter gedrückt« als die Christen; sie müßten neben
ihrem Schutzgeld, das sich jährlich für jeden Familienvater allein auf 10 bis 11 fl. belaufe, noch
Nebensteuer und Schätzung, neben Chaussee- und Militäranlagen noch Verpatentisierung ihres
Gewerbes bezahlen, »so daß sich die Abgaben eines mittlem Mannes jährlich wohl gegen 50 fl.
belaufen«920. Dagegen wurden auch Stimmen laut, die darauf hinwiesen, daß gerade in der
Geschichte des israelitischen Volkes sich die Wahrheit des Spruches »die Noth lehrt beten« am
meisten bewährt habe: »in der Noth schrieen sie alsbald in Sack und Asche921 zu Jehovah922,
den sie im Glück nur gar zu gerne vergassen«; am »rothen Meere und in den Wüsten Arabiens«
hätten sie den Götzendienst verlernt, »welchen sie bei den Fleischtöpfen Egyptens getrieben«.
Der ungleich größte Teil von ihnen lebe gegenwärtig aber im Luxus. Vorgeworfen wurden
ihnen »die übertriebene, oft lächerliche Pracht in Putz und Kleidern, die Eitelkeit und der
Hochmuth, womit sie aufziehen, die Unverträglichkeit unter sich und mit den Christen, die
Frechheit gegen Ihresgleichen und die Tyrannei und Unbarmherzigkeit gegen Niedrigere«. Ihre

912 Goj (Plural: Gojim). In der Bibel Bezeichnung für Volk, Nation, später zunehmend für das
nichtjüdische Volk und schließlich auch für den einzelnen Nichtjuden (KLJ, S. 120 f.).

913 In der Bibel mit Israel verfeindeter Volksstamm (siehe Dtn 25,17-19). Prototyp des Erbfeindes Israels,
in der Antike mit Rom, in der Neuzeit mit dem NS-Regime identifiziert (Vgl. KLJ, S. 17f.).

914 Verhandlungen des ersten Landtags zu Hohenzollern-Hechingen im Jahr 1835/36, S. 173. Lagerort:
HHBH G316.

915 Ebd., S. 175.

916 Ebd., S. 176.

917 Ebd.

918 Ebd., S. 177.

919 Ebd., S. 176.

920 Ebd., S. 177.

921 Sack (aus dem Hebräischen): Büß- und Trauerkleid (grobgewebte, faserige, härene Decke). Die
(biblische) Totenklage wurde mit nacktem Oberkörper, im Trauersack, mit Asche auf dem Haupt und mit
zerrissenen Kleidern durchgeführt.

922 Im (masoretischen) Bibeltext wurde das Tetragramm (Jud, He, Waw, He) entsprechend vokalisiert,
was die irrtümliche Lesung »Jehova« ergab.

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