Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0205
Die Inschriften der Kaulla-Grabdenkmäler

Er verabscheute weltliche Vergnügungen: wir wissen bereits, daß Akiba Auerbach »in
Thora und Talmud« sehr beschlagen war und sich ganz auf »die Wissenschaften« (natürlich die
jüdischen) geworfen hatte. Hier - wie auch in der rückwärtigen Zeile der nicht wich von den
Geboten seines Gottes - kommt Akibas Hinwendung zu seinem Glauben schön zum Ausdruck.
Hierbei muß man wissen, daß sich das »Praktizieren« der jüdischen Religion nicht nur auf die
Erfüllung der Gebote erstreckt, sondern in noch höherem Maße auf das Studium der Lehre,
denn nur, wenn man das Gesetz gut kennt, kann man es auch in die Praxis umsetzen. Auf
hebräisch heißt es so: talmud tora ke-nägäd kullam (MPeah 1,1), frei übersetzt: das Studium der
Lehre übertrifft alles! Im Schulchan Aruch, dem Kompendium der jüdischen Gesetze zum
täglichen Gebrauch, wird dieses Prinzip klipp und klar expliziert:

Ein jeder aus Israel (d. h. jeder Jude) ist verpflichtet, Tora (d. h. die Lehre im weitesten Sinne)
zu lernen, sei er nun arm oder reich, sei er kerngesund oder schmerzgeplagt, ein Jüngling
oder ein hochbetagter Greis; sogar ein Armer, der von Tür zu Tür geht, ist verpflichtet, sich
eine Zeit für das Studium der Lehre am Tag und in der Nacht festzusetzen, denn so steht
geschrieben: sinne darüber nach am Tage und in der Nacht (Jos 1,8). Wer aber gar nicht zu
lernen versteht oder wem es durch die Vielzahl seiner Geschäfte nicht möglich ist, unterhalte
andere Lerner, und es wird ihm angerechnet (sc. bei Gott), als lerne er höchstpersönlich, so
wie unsere Lehrer s. A. den Vers (Dt33,18) gedeutet haben: Freue dich, Sebulon, deines
Ausganges und Isaschar deiner Zelte; Sebulon und Isaschar hatten sich zusammengetan:
Sebulon befaßte sich mit Handel und Wandel und bestritt damit (auch) Isaschars Lebensunterhalt
, damit dieser frei sei, sich mit der Lehre zu befassen. Deshalb nennt der Bibelvers
Sebulon vor Isaschar, weil dessen Kenntnis der Lehre durch Sebulon zustande kam
(Anmerkungen und Übersetzung von mir)68.

...ein Haus zur Ehre Gottes und seiner Lehre zu bauen: daß die Absicht, eine weitere
Synagoge in Hechingen zu errichten69, nicht zur Durchführung kam, war weiter oben schon
berichtet worden.

In der dritten Zeile der zweiten Strophe Denn seit* Kaul, die ihm Zugesellte, von ihm
genommen wurde haben wir es augenscheinlich mit einer philologischen Raffinesse zu tun:
*Kaul, die ihm Zugesellte habe ich in der Ubersetzung geschrieben, wobei das Sternchen vor
dem Namen besagen soll, daß im hebräischen Original QWL mit einem Abkürzungszeichen
darüber dasteht. Die drei Konsonanten QWL hat man damals in der deutschjüdischen
Aussprache des Hebräischen als »kaul« realisiert. Das Wort »kaul« als lexikalische Einheit des
Hebräischen wiederum bedeutet »Stimme« (das Wort wird in Israel heute »kol« gesprochen;
vgl. den Namen des Staatsrundfunks: Kol Jissrael). Ob mit der Bedeutung »Stimme« darauf
angespielt werden soll, daß er, Akiba, ganz zurückgezogen gelebt hat, so daß seine Frau
sozusagen die »Stimme« war, die für ihn sprach, vermag ich nicht zu beweisen, halte es jedoch
für äußerst wahrscheinlich. Oder soll vielleicht gesagt werden, daß seine Stimme nach ihrem
Tode verstummt war? Auf jeden Fall glaube ich, sagen zu dürfen, daß unser QWL mit dem
diakritischen Zeichen darüber folgende Botschaft an den Leser beinhaltet: lies »kaul«, aber

68 KSAI, 153-154 (= §27,2).

69 Vgl. Schnee, Madame, S. 95. S. auch die Miszelle von Otto Werner, Nachweis einer weiteren
Synagoge in Hechingen. In: HH4 (1981), S. 53-54. Hätte Akiba sein Vorhaben ausgeführt, so hätte es in
Hechingen um 1800 vier Synagogen gegeben. Eine existierte bereits auf der Goldschmiedstraße, eine zweite
auf der Friedrichstraße, die übrigens auf dem bekannten Kupferstich von J. H. Bleuler (um 1815) vorne
rechts zu sehen ist (Mors, S. 80), und schließlich die dritte in der sog. »Münz«, auf deren Vorhandensein
O. Werner hinwies. Strenggenommen handelt es sich bei dieser »Trouvaille« um ein rein terminologisches
Problem: wer Beth ha-Midrasch sagt, muß auch Beth ha-Knesset (= Synagoge) sagen, nicht aber
umgekehrt! Vgl. zu diesem Themenkomplex EJJ4: 751-752 [»BET (HA)-MIDRASH«] sowie S. 186 mit
Anm. 36.

197


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0205