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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0216
Heinrich Kohring

den Söhnen von der »Schul«, der Synagoge, heimgekehrt ist, rezitiert. Dieses eschät-chdjil ist
übrigens auf Epitaphen von Ehefrauen ein Stereotyp; es taucht so regelmäßig auf, daß es oftmals
auch abgekürzt erscheint: Alef - Chet.

Von reinem Herzen ist eine biblische Phrase, die gleichfalls in Prov vorkommt, und zwar in
22,11.

Heiligte all ihre Tage..., damit sie heilig seien: das im hebräischen Original wuchtig und
konzis wirkende Syntagma »damit sie heilig seien« (= we-häju qödäsch, ganz wörtlich: und sie
waren Heiligkeit) kommt einige Male in der Bibel vor, u.a. in Lv21,6: »Sie (= die Priester)
sollen ihrem Gott heilig sein und nicht entheiligen den Namen ihres Gottes, denn sie opfern die
Feueropfer des HERRN, die Speise ihres Gottes; darum sollen sie heilig sein« (meine
Hervorhebung).

Die Ratgeberin ist natürlich Wiedergabe ihres bürgerlichen Titels »Rätin«, der auf der
Vorderseite in lateinischen Buchstaben zu lesen ist. Ob ihr dieser Titel eigens verliehen worden
ist oder ob sie ihn nur führte, weil ihr Mann der »Herr Rat« war, kann ich nicht feststellen.
Vermutlich trifft letzteres zu; dazu würde gut passen, daß der Titel nicht, wie bei anderen
Inschriften (Jakob Kauila und Maier Hanau), in Deutsch beibehalten wurde.

Die Herrin Michle: was ich hier mit Herrin wiedergegeben habe, lautet im Original »marat«,
eine aramäische Form, die üblicherweise dem Namen einer verheirateten Frau vorangestellt
wird. Es entspricht also im Gebrauch dem deutschen »Frau«. Der weibliche Vorname »Martha«
leitet sich daher ab; er bedeutet: die Herrin {marat + Schlußartikel -a) marta). Der Stamm mar
(=Herr) ist auch aus dem im 1. Korinther-Brief (16,22) vorkommenden altchristlichen
Gebetsruf: Maranatha (= maran ata~ unser Herr komme) hinreichend bekannt. In Israel wird
mar vor dem Hausnamen heute so gebraucht wie unser Herr, nicht aber marat, wofür g'värät
gesagt wird.

Michle ist sehr wahrscheinlich vom hebräischen Vornamen Michal- so hieß die erste Frau
König Davids - abgeleitet, versehen mit dem aus dem Deutschen stammenden Diminutivsuffix
-le. Der Name »Michle« wird auf unserem Stein übrigens so geschrieben: MJKLH, d.h. mit
einem He am Ende, wobei der traditionellen Orthographie des Hebräischen folgend dieses
End-He als Hinweis darauf verstanden werden muß, daß das betreffende Wort vokalisch auf -a
(oder auch auf -e) ausgeht. Auf dem bereits erwähnten Parochet (S. 192 mit Fn58), den Jakob
Kauila »und seine Gattin Michl, sie möge leben« gestiftet haben, schreibt sich ihr Name anders:
MJKL?, d.h. mit einem Älef am Schluß, was strenggenommen dann »Michl« gelesen werden
müßte. Vielleicht waren beide Formen im Gebrauch - mit der bereits genannten Differenzierung
(S. 181) wie zwischen »Kaul« und »Kaule«, wobei, wie gesagt, die Form auf -le
»weiblicher« klang.

Philologisch erwähnenswert ist hier auch die Orthographie der Eigennamen Auerbach und
Kauila, da der Diphthong -au- der beiden Namen durch die hebräischen Konsonanten
Waw + Jod wiedergegeben wurde, während auf den Epitaphen des Jakob Kauila und des Maier
Hanau der Diphthong -au- des Namens Kaulla nur durch Waw allein ausgedrückt wurde. Die
Schreibung des Diphthongs -au, der im Hebräischen selber gar nicht vorkommt, durch die
Buchstabenfolge Waw/'Jod ist eine alte Rechtschreibepraxis der deutschen Juden, die bereits für
das 15.Jahrhundert beim Schreiben jiddischer Texte bezeugt ist83. Wenn wir aber gleichzeitig

83 Die Problematik der jiddischen Orthographie ist übersichtlich dargestellt bei Jechiel Bin-Nun:
Jiddisch und die deutschen Mundarten, Tübingen 1973. S. darin besonders S. 130 und zur Illustration die auf
S. 41-45 und 65-69 abgedruckten Texte. Ein weiteres Problem, das sich aus der Schreibung des
Familiennamens »Kaulla« in hebräischen Lettern ergibt (Stelen des Jakob, des Maier Hanau und der
Michle), ist das Alef am Wortende. In der mittelalterlichen Rechtschreibung des Jiddischen wurde Alef
auslautend als rein graphisches Hilfsmittel ohne eigenen Lautwert verwendet, um anzuzeigen, daß der
davorstehende Konsonant auch tatsächlich gesprochen wurde. Bei der Schreibung von Eigennamen
(Personen- und Ortsnamen) hat sich diese orthographische Besonderheit (Alef am Schluß) - auch bei
Verwendung solcher Namen in rein hebräischen Texten - noch weit bis ins 19. Jh. hinein gehalten.

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