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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0281
Der Landkreis Hechingen 1945-1955

barsch wirkender Gesichtsausdruck ließ bei mir die Befürchtung aufkommen, daß mit ihm
»nicht gut Kirschen essen sei«. Daß dieser Eindruck jedoch täuschte, konnte ich kurze Zeit
später feststellen.

Am 3.Juli 1945 fand im Hechinger Schwurgerichtssaal die erste Verhandlung vor dem
französischen Militärgericht statt, bei der ich als Verteidiger der Angeklagten zugelassen war.
Für die »neuen Herren« war dies ein Anlaß, mit einem großen Aufgebot zu zeigen, wer jetzt die
Macht und das Sagen im Lande habe. An dem erhöhten Richtertisch saßen etwa fünf
französische Offiziere. Ein junger Leutnant, der sich noch in der juristischen Ausbildung
befand, führte den Vorsitz. Ein anderer Offizier, ein Elsässer, fungierte als Dolmetscher. In den
ersten Reihen des bis zum letzten Platz gefüllten Zuhörerraums saßen mehrere französische
Offiziere und andere Chargen. In der Mitte der ersten Reihe etwas vorgerückt auf einem
Präsidentenstuhl thronte gravitätisch der Kreisgouverneur. Er war während der etwa zwei
Stunden dauernden Sitzung anwesend und verfolgte die Verhandlung mit Interesse, ohne sich
irgendwie einzumischen. Am Schluß der Sitzung kam er auf mich zu. Im ersten Augenblick
erschrak ich, denn ich dachte, daß ich mir bei der Verteidigung der Angeklagten durch ein
unbedachtes, vielleicht auch nur falsch verstandenes Wort seinen Unwillen zugezogen hätte.
Dann war bei der Einstellung der Franzosen in der ersten Zeit der Besetzung mit großer
Wahrscheinlichkeit mit der Verhaftung zu rechnen. Um so überraschter war ich, als er meine
Hand nahm und sagte: »Ich gratuliere Sie, gut gemacht.«

In der Folgezeit kam ich beruflich häufig mit Colonel Brochu zusammen. Bei meiner
Amtseinführung als Landrat im August 1946, an der Brochu teilnahm, dankte ihm der
scheidende Landrat Dr. Remark für seine Hilfsbereitschaft und humane Einstellung schon in
den ersten Nachkriegsmonaten. Er sagte wörtlich: Seine Freundlichkeit gestattete jedermann,
von ihm empfangen und gehört zu werden. Seine Güte und sein Wohlwollen sind überall
bekannt und werden überall anerkannt, sowohl in den Gemeinden wie auch von Privatleuten.

Daß dieses Urteil voll und ganz zutraf, konnte ich während meiner Zusammenarbeit mit ihm
selbst feststellen. In den ersten Nachkriegsjahren mußte der Landrat als Leiter der deutschen
Verwaltung im Kreis dem Gouverneur mindestens zwei- bis dreimal in der Woche Bericht über
die Vorgänge im Kreis erstatten und gegebenenfalls Anordnungen der Militärregierung
entgegennehmen. Bei diesen Begegnungen zeigte Colonel Brochu großes Verständnis für die
Anliegen und Sorgen der Kreisbevölkerung und bedauerte es, wenn er nicht helfen konnte, weil
die strengen Bestimmungen der Militärregierung dies damals nicht zuließen. Gegen Ubergriffe
seiner Untergebenen, die immer wieder vorkamen, schritt er, wenn er davon erfuhr, energisch
ein. Dies war in den ersten Jahren nach dem Einmarsch der französischen Besatzungstruppen
nicht überall der Fall.

Die Verbundenheit des Kreisgouverneurs Brochu mit der Bevölkerung zeigte sich auch in
dem Besuch von fast jeder größeren Veranstaltung im Kreis. Dabei richtete er meist verbindliche
Worte an die Versammelten. Bei keiner der regelmäßig abgehaltenen Bürgermeister- und
Ortsobmännertagungen, denen bei der damaligen schwierigen Ernährungslage eine wichtige
Bedeutung zukam, fehlte er. An der Vereidigung der erstmals wieder in freier Wahl gewählten
Bürgermeister, die am 19. Oktober 1946 durch den Landrat im Hechinger Schwurgerichtssaal
vorgenommen wurde, nahm er teil und lud anschließend, wie die Presse berichtet, »den
Landrat, die Herren der Justiz und die Bürgermeister als seine Gäste ein«. Als die Versorgung
der Bevölkerung mit Brot im Sommer 1947 besonders schwierig wurde, fuhr er zusammen mit
dem Landrat in die Landgemeinden, um die Bauern mit einem dringenden Appell zu einer
weiteren freiwilligen Getreideabgabe zu veranlassen. In der Weihnachtszeit fand auf Anordnung
des Gouverneurs eine Weihnachtsfeier für ärmere schulpflichtige Kinder aus dem ganzen
Kreisgebiet im Hechinger Museumssaal statt. Dabei wurden diese in ihren Wohngemeinden mit
Omnibussen abgeholt, mit Kakao und Kuchen bewirtet und mit für die damalige Zeit
ansehnlichen Geschenken bedacht.

Ein besonders herzliches Verhältnis hatte Colonel Brochu zu dem in Hechingen internierten

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