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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0288
Hans Speidel

sich nach der landwirtschaftlichen Struktur des Kreises, vor allem nach seiner Anbaufläche und
seinem Viehbestand. Das Landratsamt setzte die Umlage der einzelnen Gemeinden in derselben
Weise und nach denselben Richtlinien fest, wobei es die landwirtschaftlichen Sachverständigen
des Kreises, vor allem den Leiter des Landwirtschaftsamts und den Kreisobmann, als Berater
zuzog. Die Bürgermeister wiederum verteilten die Gemeindeumlage in der gleichen Weise auf
die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe im Ort. Abzuliefern waren vor allem Getreide,
Vieh und Milch, anfangs auch Kartoffeln, Eier, Heu und Stroh. Den Bürgermeistern bereitete
die Aufbringung der angeforderten Menge von landwirtschaftlichen Produkten und des
abzuliefernden Viehs (vor allem der Rinder und Schweine) große Schwierigkeiten. Manche
Bauern fühlten sich ungerecht behandelt. Andere wollten nicht einsehen, daß die für die
Abgabepflichtigen oft harten Maßnahmen im Interesse der Allgemeinheit erforderlich waren.
Immer wieder mußten Angestellte des Landratsamts in die Gemeinden geschickt werden, um
die Bürgermeister bei dieser schwierigen Aktion zu unterstützen. Mancherorts mußte gegen die
säumigen Ablieferer energisch vorgegangen werden. Von Fachleuten wurden Ernteschätzungen
vorgenommen, und Hof- und Kellerbegehungen fanden statt, um die Angaben der
Landwirte zu überprüfen. Gegen uneinsichtige und böswillige Nichtablieferer wurden Geldbußen
verhängt. Um die Ablieferung besser in den Griff zu bekommen, wurden mancherorts
ungewöhnliche Maßnahmen angedroht und zum Teil auch durchgeführt. So sperrte der
Tübinger Landrat im Herbst 1946 in den Gemeinden seines Kreises, die nicht wenigstens 70 %
ihres Ablieferungssolls erfüllt hatten, die Hausschlachtungen. Aus Horb kam sogar der
Vorschlag, in Gemeinden mit großen Rückständen keine Tanzerlaubnis zu erteilen. Damals war
der Landrat sogar für die Erteilung der Tanzerlaubnis in allen Kreisgemeinden zuständig!
Andererseits wurden Gemeinden wie auch Landwirte mit besonders guten Ablieferungsergebnissen
bei Zuteilungen, vor allem bei der Vergabe landwirtschaftlicher Geräte wie Sensen,
Gabeln, Rechen, Hacken und dergleichen, besonders berücksichtigt. Diese waren ja bewirtschaftet
und wurden durch das Landwirtschaftsamt im Einvernehmen mit dem Landratsamt
ausgegeben.

Zur Durchführung der für die Sicherstellung der Ernährung notwendigen Maßnahmen
waren die Tagungen der Bürgermeister und Ortsobmänner, die alle paar Wochen stattfanden,
sehr hilfreich. Diese wurden jeweils vom Landrat, manchmal auch vom Kreisobmann einberufen
und dienten der Berichterstattung über die Ernährungslage und über den Stand der
Ablieferung in den Kreisgemeinden. Meistens nahm auch der Kreisgouverneur an der Zusammenkunft
teil. Eindringlich wurden die säumigen Bürgermeister und Ortsobmänner bei dieser
Gelegenheit vom Landrat und dem Leiter des Kreisernährungsamts auf die Verpflichtung
hingewiesen, dafür Sorge zu tragen, daß die Umlagen ihrer Gemeinden rechtzeitig und
vollständig erfüllt würden. Die Notlage in der Lebensmittelversorgung machte es den Behörden
zur Pflicht, alles daran zu setzen, daß die Bauern ihrer Abgabepflicht nachkamen. Die
Lebensmittelrationen, die alle zehn Tage durch einen Aufruf des Kreisernährungsamts freigegeben
wurden, waren, wie man damals sagte, »zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel«. So
erhielten die Normalverbraucher (Erwachsene über 18 Jahre, die nicht Selbstversorger waren)
auf den Monat umgerechnet je nach Vorrat 6 bis 9 kg Brot, 400 bis 600 g Fleisch und 300 bis 400 g
Fett. Dazu kamen geringe Mengen Käse und 12 bis 15 kg Kartoffeln. Milch gab es nur für
werdende und stillende Mütter sowie für Kinder und Jugendliche (bis zu einem Jahr V< Liter,
von ein bis sechs Jahren Vi Liter, von sechs bis zehn Jahren '/< Liter und von zehn bis achtzehn
Jahren V« Liter täglich). Für Schwerarbeiter gab es Zusatzkarten, durch die ihre Zuteilungen
etwas aufgebessert wurden. Für die Selbstversorger lagen die ihnen zugemessenen Rationen
wesentlich höher. Auch war eine genaue Kontrolle über deren eigenen Verbrauch nicht
möglich.

Da die Getreideernte im Jahr 1946 sehr schlecht ausfiel, war die Brotversorgung im Frühjahr
und Sommer 1947 besonders schwierig. Die Landesdirektion der Wirtschaft Abt. Landwirtschaft
und Ernährung in Tübingen ordnete daher ab. 1. Januar 1947 ein Mahlverbot für alle

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