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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1985/0323
Besprechungen

Einführungskapitel, in dem er die französische Außen- und Deutschlandpolitik nach 1945 verständlich zu
machen sucht. In Anlehnung an F. Roy Willis (The French in Germany. 1945-1949. Stanford/Calif. 1962;
Ders., France, Germany and the New Europe 1945-1967. Stanford/Calif. 1968) beschreibt er die von de
Gaulle und Bidault formulierten außenpolitischen Ziele als »French Thesis«, die das Ruhrgebiet internationalisieren
und das Saarland in eine Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich zwingen, in jedem Fall
aber das Wiederentstehen eines zentralisierten Reichs verhindern wollte. Munro berichtet von den
zahlreichen, aber letztlich erfolglosen Versuchen der Franzosen, auf den Außenministerkonferenzen der
Alliierten ihre Forderungen einzubringen. Erfolgreich waren sie hingegen mit ihrer Weigerung im Alliierten
Kontrollrat, zentrale Verwaltungsorgane in Deutschland zuzulassen. Die Föderalisierung Deutschlands,
das für Frankreich das primäre deutschlandpolitische Ziel war, führte zum einen zur Gründung neuer
Länder wie Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und Südbaden; zum anderen - was vom Autor
ebenfalls nicht unterschlagen wird - gab es auch Tendenzen in der französischen Besatzungsmacht, den
Separatismus zu fördern und Partikularisten vom Schlage eines Otto Feger zu unterstützen, die einer
südwestdeutschen Autonomie huldigten. Für die Stadt Tübingen bedeuteten die Föderalisierungsbestre-
bungen der französischen Deutschlandpolitik durchaus nicht nur Negatives: Munro beschreibt eindringlich
die Bedeutung Tübingens im politischen Kalkül der Franzosen. Tübingen wurde zur Verwaltungshauptstadt
des von ihnen besetzten Südwürttembergs und des ehemaligen preußischen Regierungsbezirks
Sigmaringen einschließlich des bayerischen Landkreises Lindau/Bodensee; dieses Gebiet wurde im Juli
1945 »Das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns« benannt. Mit der Wahl zum
Landtag und der Gründung des »Landes« Württemberg-Hohenzollern stieg Tübingen im Mai 1947 sogar
zur Landeshauptstadt auf. Die französische Militärregierung Südwürttembergs, die sich im September 1945
in Tübingen niederließ, brachte der Stadt nicht nur Militärverwaltung und -gerichtsbarkeit, »Office du
Commerce Exterieur« und Filiale der Reichsbank, sondern unternahm es zielstrebig, Tübingen zu einem
kulturellen Zentrum auszubauen. Dies umschreibt Munro in einer seiner zahlreichen pointierten Formulierungen
wie folgt: »The intense intellectual and artistic activity of French-occupied Tübingen in the
immediate post-war years became a hallmark of the generosity and efficacy of France's cultural policy
within her zone of occupation. Tübingen discarded its sleepy provincialism in the course of 1945 and 1946
and emerged, with French connivance, as a brillant centre of the arts, outshining all other towns in the
French zone and indeed most of the great cities of Germany. At no time during the twentieth Century has
Tübingen gained such prominence as a patron of the arts« (Vol. 1, S.78).

Natürlich behandelt Munro auch die Errichtung des »Staatssekretariats« unter der Führung Carlo
Schmids im Oktober 1945 mit Sitz in Tübingen, dessen Umbildung im Dezember 1946 und Ablösung durch
die Landesregierung von Württemberg-Hohenzollern im Mai 1947, doch die interessantesten Teile der
sieben Hauptkapitel seiner Arbeit sind die Detailstudien zum Wiederaufbau des politischen Lebens in der
Stadt: Ausführlich zeichnet er das Wirken der antifaschistischen Gruppe nach, die sich nach dem Beitritt
Carlo Schmids, der selbst wiederum andere wie seinen Freund Viktor Renner nachzog, in »Demokratische
Vereinigung Tübingen« umbenannte und einen zusehends antikommunistischen Kurs steuerte. Diese
Gruppe, die sich in der Gaststätte »Pflug« traf, wurde zur Rekrutierungsbasis der neuen kommunalen Elite
und für Einige, besonders für Carlo Schmid, zum Sprungbrett für eine politische Karriere auf Landesebene
und darüber hinaus. Aus ihren Reihen kamen auch die Mitglieder des ersten Gemeinderats, den die
Franzosen nach seiner konstituierenden Sitzung wieder auflösten, und des »Stadtbeirats«, der an seiner
Stelle eingesetzt wurde. Bis zum Frühjahr 1946 hatten allerdings die neu zugelassenen Parteien die meisten
Funktionen der »Demokratischen Vereinigung« übernommen, und so kamen die Sitzungen allmählich zum
Erliegen. Munro beschreibt auch die Etablierung der Parteien in Tübingen mit großer Sorgfalt; beginnend
mit der KPD, die erst allmählich aus der von ihr beherrschten Polizei, der Lokalzeitung und den
Gewerkschaften ab dem Jahresende 1945 herausgedrängt werden konnte - bei der Kommunalwahl am
15. September 1946 kam sie über zwei von 24 Sitzen im Gemeinderat nicht mehr hinaus. Daran hatte nicht
zuletzt die SPD großen Anteil, die sich durch die Ernennung Carlo Schmids zum Leiter des »Staatssekretariats
« zur Regierungspartei mit großem Zulauf entwickelt hatte. Sie grenzte sich strikt gegen die
Kommunisten ab und konnte auch die Ernennung von KPD-Mitgliedern zu Landesdirektoren verhindern.
Ohne den Beitritt gemäßigter bürgerlicher Politiker wie Carlo Schmid und Viktor Renner hätte es allerdings
auch die SPD nur schwer geschafft, sich zur »Partei der Stadtverwalter« - wie Prof. Georg Melchers die SPD
rückblickend titulierte - in Tübingen zu entwickeln, wo sie vor 1933 nur einen Bruchteil der Gemeinderatssitze
hatte erringen können. Angesichts des Startvorteils der SPD hatte es die CDU als überkonfessionelle
Neugründung anfangs schwerer, zumal einige Katholiken wie Lorenz Bock lieber das Zentrum neu
gegründet hätten und ihr durch die DVP zahlreiche protestantische Wähler verloren gingen. Doch schon
mit den Gemeinderatswahlen am 15. September 1946 und dann erneut in den Landtagswahlen am 18. Mai

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