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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0139
Preußen, Deutschland und die polnische Frage

Namen belassen. Sie entstammen alle der alten Aristokratie oder jener Beamtennobilität, die im
alten Osterreich die Basis einer universalen, supranationalen Aufstiegselite bildete. Die soziale
Stagnation charakterisierte allerdings ebenso den sozialgeschichtlichen Kontrast zur russischen
Polenpolitik an der Jahrhundertwende. Der polnische Sonderstaat, der sich in Galizien
abzuzeichnen begann, zog vornehmlich den polnischen Adel in den Dienst des Kaiserreichs,
während eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung weithin ausblieb.

In Russisch-Polen traf der Verlust politischer Eigenständigkeit und nationaler Würde den
Adel wie Kirche und Klerus am stärksten, während die Regierungen der Zaren die bäuerlichen
Schichten schonten, nach der Bauernbefreiung von 1861 und dem polnischen Aufstand von
1863 sogar entschieden begünstigten.253. Auch Wachstum, Aufnahmefähigkeit und Größe des
russischen Marktes boten der dünnen wohlhabenden jüdisch-polnisch-deutschen städtischen
Oberschicht in Handel und Industrie beträchtliche Entfaltungsmöglichkeiten, so daß sie sich
von der nationalpatriotischen Seite zu distanzieren begann; kritische Gruppen aus dieser
Oberschicht verpflichteten sich Sozialrevolutionären, sozialistischen und klassenkämpferischen
Idealen.

Die preußische Politik ging indessen dazu über, die nationalen Antagonismen zwischen
Verwaltung und polnischsprechender Bevölkerung in den Ostprovinzen zu verschärfen und zu
mobilisieren. Schon bei der Bauernbefreiung, den Grundlastenablösungen und Separationen,
die in der Provinz Posen erst 1823 begannen und erst nach 1848 zum Abschluß kamen, trat - im
Unterschied zu den Verhältnissen in anderen Provinzen - eine Begünstigung der spannfähigen
Bauern gegenüber dem damals überwiegend polnischen Großgrundbesitz deutlich zutage. In
mittleren und größeren Bauern erblickte man auch in Preußen eine festere Stütze des Staates als
im Adel und in der Kirche.

Die entschiedenste deutsche-nationale Wendung der preußischen Polenpolitik trat in der
außenpolitischen Krise der sechziger Jahre ein, als angesichts der labilen Beziehungen zwischen
den drei Teilungsmächten und unter dem Einfluß der nationalstaatlichen Strömungen Europas
auch unter der polnischen Bevölkerung eine neue Bewegung begann.

///.

Die intensive Ausgestaltung der preußischen Volksschulpflicht und die hierdurch herausgeforderte
, im Gefolge des Aufstandes von 1863 - in Russisch-Polen - auch im Preußischen vom
originären polnischen Klerus geförderte Opposition, dann die Reichsgründung, die auch die
Polen Preußens zu Deutschen machte26, beschworen den ersten schweren nationalen Konflikt
herauf. Der Schul- und Sprachenstreit dieses »Kulturkampfes« unter Bismarck brachte
Verhaftung, Amtsenthebung und Gefängnisstrafe des anfänglich maßvollen, überaus populären
, in vatikanischen Diensten ausgezeichneten und von Papst Pius IX. hochgeschätzten
Erzbischofs von Posen und Gnesen, Graf Ledöchowski. Nach seiner Ausweisung und Ausreise
nach Rom und mit dem dortigen Wirken des zum Kardinal ernannten Erzbischofs verband sich
die ultramontane Opposition gegen die Berliner Regierung mit der polnisch-nationalen, die,

25a Hierzu neuerdings einige Zahlen bei StanisW Kalabinski: Die Modernisierung der Gesellschaft im
Königreich Polen im 19.Jahrhundert. In: Modernisierung und nationale Gesellschaft im ausgehenden 18.
und 19. Jahrhundert, hrsg. von Werner Conze, Gottfried Schramm, Klaus Zernack (Osteuropastudien
der Hochschulen des Landes Hessen, I, 9). Berlin 1979. bes. S. 73 ff. Vgl. auch im gleichen Bande
Adolf JuZwenko, Wojciech Wresinski: Modernisierung und Neugestaltung des polnischen Nationalen
Lebens im russischen und preußischen Teilungsgebiet im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ebenda,
bes. S. 136 ff.

26 Die Vorbehalte wurden deutlich vom polnischen Reichstagsabgeordneten Krzyzanowski am 1. April
1871 formuliert: »Wir wollen, meine Herren, bis Gott anders über uns bestimmt hat, unter preußischer
Herrschaft bleiben; aber dem deutschen Reich wollen wir nicht einverleibt sein«. Zit. von Theodor
Schieder: Das Deutsche Kaiserreich von 1870 als Nationalstaat. S.20.

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