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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1990/0018
Hans-Dieter Lehmann

manisches Glossar des 5. Jahrhunderts. Dort wird »caio« durch ein wohl gallisches »breialo«,
ein westgotisches »bigardio« und die lateinische Umschreibung »campus arboribus consitus et
muris aut sepibus cinctus« verdeutlicht. Althochdeutsch »haia, chaia« oder »kaia« erscheint in
der Bedeutung von »Einfriedung, Bollwerk, Verhau«. Im Jahr 864 befahl Karl der Kahle, in
seinem westfränkischen Reich alle ohne königliche Erlaubnis gebauten »castella et firmitates et
hajae« zu schleifen. Die Reichsannalen zum Jahr 776 berichten vom Eindringen des fränkischen
Heeres in die »caesas seu firmitates«, d.h. in die Verhaue und Bollwerke der Sachsen.
»Kay« dürfte als Bezeichnung einer versteckten, z.T. befestigten Zuflucht des frühen Mittelalters
zu verstehen sein.

Ein »Gehstieg« bei Beuren könnte die Erinnerung an einen Zugang zu einem »Kay«
bewahren und damit eine Parallele zu den zahlreichen »Gasteig« bilden, die in Bayern südlich
der Donau vorkommen. »Ga-« ist hier keine Vorsilbe, die einen Sammelbegriff ausdrückt.
Weitzenböck40 wollte von althochdeutsch »gäch«, d.h. steil, jäh, ableiten; angesichts der
manchmal recht geringen Steilheit, die sich vor Ort bei der Realprobe offenbart, gibt er zu
bedenken, daß man im Flachland andere Maßstäbe für »steil« besitze als im Gebirge. Dieses
Problem entfällt, wenn man Gasteig zu »cae« und »Kay« stellt und darin die Erinnerung an
den Zugang zu den lokalen Zufluchtsorten des frühen Mittelalters sieht. Auch das Gebiet
südlich der Donau hatte zu dieser Zeit dringenden Bedarf an Waldverstecken mit mehr oder
weniger steilen Zugängen. Eine entsprechende Bedeutung kommt einem alamannischen
Namen »cawicca« zu, der 802 im Raum nördlich Bregenz auftritt - der heutige Ortsname
Gwiggen. Hier dürfte der Schwund der ersten Silbe auf die Betonung im Frühmittelalter
zurückgehen, die bei den hier noch ansässigen Romanen auf der zweiten Silbe lag. Eine
Parallele dazu bietet der Weiler Gwigg bei dem »Walchenort« Bad Waldsee. Beide Ortsnamen
sind gemeinsam auf einer Karte der Suevia universa von 1713 zu finden als »Wicken« bzw.
»Gwigg«. Für das letztere ist eine der frühen »cawicca« entsprechende Form nicht überliefert,
die Lage des Weilers spricht aber für sich. Er liegt im Winkel zwischen zwei in jeweils etwa
3 km Entfernung von Weingarten-Altdorf her vorbeiziehenden Altwegen am Zugang zu einer
einst von Sümpfen und Seen umgebenen Anhöhe. Eine ähnlich geschützte Moorhalbinsel liegt
im Westallgäu: der »Gaischachen« bei Eisenharz.

Bis in die Neuzeit hinein wird immer wieder davon berichtet, daß in Notzeiten ganze
Dorfgemeinschaften Zuflucht in den Wäldern gesucht haben. Walddickicht und Dorngestrüpp
boten zu allen Zeiten einen vorzüglichen Schutz. Ein dringender Bedarf an sicheren
Zufluchtsplätzen dürfte bei uns schon in spätrömischer Zeit bestanden haben, sei es anläßlich
römischer Strafexpeditionen oder germanischer Einfälle. In Südwestdeutschland werden
zumeist die hier zahlreichen Abschnittswälle als Wehranlagen aus der Frühzeit interpretiert.
Die große Zahl solcher Anlagen läßt die weit besser geeignete Alternative vergessen. Gegenüber
exponierten Bergspornen, auch wenn sie Graben und Wall aufweisen, bietet das
Waldversteck, d.h. der »Kay«, erhebliche Vorteile: einen besseren Zugang zu Wasser und
damit die Möglichkeit zu längerem Aufenthalt, eine geringere Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu
werden, und weit höhere Chancen zur Flucht im Fall der Entdeckung. Die Aushebung eines
Verstecks in einem größeren Walddickicht band zahlreiche Angreifer, da diese nicht massiert
in Aktion treten konnten. Den Eingeschlossenen blieb die Möglichkeit, entweder einzeln im
Wald zu entweichen oder als Gruppe die Linie der Angreifer nach beliebiger Richtung zu
durchbrechen. Eine Abschnittsbefestigung auf steilem Sporn, der die Schildmauer oder andere
Fortifikationen der hochmittelalterlichen Burg fehlten, war im Vergleich zu einem »Kay« eine
Mausefalle. Ihre Insassen waren einem entschlossenen und geduldigen Angreifer hilflos
ausgeliefert. Bei zahlreichen Abschnitts-»Befestigungen« aus vor- oder frühgeschichtlicher
Zeit ist deshalb Zweifel an ihrer ursprünglichen Wehrfunktion anzumelden.

40 G. Weitzenböck: Untersuchung über Gasteig. In: Zeitschrift für Ortsnamenforschung 5 (1929)
S. 209 ff.

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