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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0230
Edwin Ernst Weber

»Machtergreifung« Hitlers wurde am 14. Juli 1933 im Reichskabinett das »Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses« verabschiedet, das nach einer vorausgegangenen Entscheidung
eines Erbgesundheitsgerichtes die Unfruchtbarmachung sogenannter »Erbkranker«
vorsieht, wenn, wie es im Gesetzestext heißt, nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft
mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren
körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden37. Von den in der Folge in breitem Stil
ausgeführten Zwangssterilisierungen, die, zusammen mit der zugrundeliegenden sozialdarwinistisch
hergeleiteten, rassenhygienischen Programmatik, nach neueren historischen Forschungen
in ärztlichen und karitativ engagierten Fachkreisen auf ein hohes Maß an Akzeptanz
stießen und keineswegs auf ein bloßes Diktat der nationalsozialistischen Machthaber zurückzuführen
waren, waren bis 1945 schätzungsweise etwa 400000 Menschen in Deutschland
betroffen. Die Einführung und Anwendung des Kriteriums des »angeborenen Schwachsinns«
als Ersatzbegriff für die im Einzelfall schwer nachweisbare Erblichkeit der verschiedenen
Formen der Geistesschwäche bedeutete in praxi einen Freibrief zur Einbeziehung all jener
Menschen, die den pseudodiagnostischen Anforderungen der Intelligenzprüfung, »Lebensbewährung
« und Familienanamnese nicht entsprachen. Wie gerade auch die Sigmaringer
Sterilisierungsfälle belegen, sind von einer Unfruchtbarmachung in hohem Maße auch Menschen
bedroht, die schulischen und beruflichen Mindestanforderungen nicht genügen, keiner
geordneten Beschäftigung nachgehen, wiederholt straffällig geworden sind oder an chronischem
Alkoholismus leiden. Die Unfruchtbarmachungen, von denen Anstaltsinsassen bis zur
ihrer Entlassung ausgenommen sind, werden in aller Regel von Amtsärzten oder Anstaltsärzten
und nur zu einem verschwindend geringen Anteil von den Betroffenen selbst beziehungsweise
deren gesetzlichen Vertretern bei den Erbgesundheitsgerichten beantragt. Hatte das aus
einem Amtsrichter als Vorsitzendem, einem beamteten Arzt sowie einem weiteren Mediziner
zusammengesetzte Erbgesundheitsgericht auf Unfruchtbarmachung erkannt, mußte die Sterilisierung
binnen zwei Wochen durch einen approbierten Arzt an einer dazu ermächtigten
Krankenanstalt vorgenommen werden.

Das für Hohenzollern und damit auch für den Sigmaringer Bereich zuständige Erbgesundheitsgericht
war offensichtlich dem Amtsgericht Hechingen angegliedert, als medizinische
Sachverständige wurden zu den Gerichtsverhandlungen vielfach auch Ärzte des Sigmaringer
Landeskrankenhauses, namentlich der dortige Facharzt für Psychiatrie herangezogen38. Zur
Vornahme der gerichtlich erkannten und nicht selten gegen den Willen und den Widerstand
der Betroffenen erzwungenen Sterilisierungen waren für Hohenzollern das Landeskrankenhaus
Sigmaringen bei Männern sowie die Universitätsfrauenklinik Tübingen bei Frauen
ermächtigt; für den Kreis Hechingen besaß bei Männern zusätzlich auch noch die chirurgische
Universitätsklinik Tübingen eine Zuständigkeit. Ausweislich einer im Kreisarchiv Sigmaringen
vorliegenden Liste wurden allein im Landeskrankenhaus Sigmaringen zwischen 1934 und
1942 aufgrund einer vorausgegangenen Entscheidung des Erbgesundheitsgerichtes mehr als

Zwiefalten und Schussenried. Selbstverlag PLK Zwiefalten 1991; Karl Morlok: Wo bringt ihr uns hin?
»Geheime Reichssache« Grafeneck. Stuttgart 21990; Das Gedenken braucht einen Ort. Schrift zur
Einweihung der den Opfern der »Euthanasie« gewidmeten Gedenkstätte in Grafeneck. Hg. v. Arbeitskreis
Gedenkstätte Grafeneck u. v. d. Samariterstiftung Nürtingen. Grafeneck 1990. Der folgende
allgemeine Uberblick stützt sich auf die Darstellung von Schmuhl. Eine ausführliche Aufarbeitung der
Zwangssterilisierungen und »Euthanasie«-Morde an Patienten des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses aus
medizingeschichtlicher Perspektive bietet Gabriel Richter: Die psychiatrische Abteilung des Fürst-
Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«. Leiden, Stigmatisierung, Sterilisation und
Tötung angeblich unheilbar Kranker am Beispiel der Hohenzollerischen Lande. In: ZHG 30/31 (1994/95).

37 Reichsgesetzblatt I, 1933, S.529; zit. nach Schmuhl (wie Anm. 36), S. 155.

38 (Zwangs-) Sterilisierungen im Fürst-Carl-Landeskrankenhaus Sigmaringen 1934-1942 (KAS Acc.
XIV - 1993/3, Nr. 73).

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