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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0231
Vom Landesspital zum Landratsamt

100 Männer aus ganz Hohenzollern und angrenzenden Orte unfruchtbar gemacht39; die
Gesamtzahl der Sterilisierten aus Hohenzollern betrug zwischen 1935 und 1943 einer Meldung
an das Reichs- und preußische Innenministerium zufolge 24340.

Wie andernorts werden auch in Sigmaringen die vom Erbgesundheitsgericht angeordneten
Zwangssterilisierungen offenkundig mit großer Selbstverständlichkeit ausgeführt. In dem vom
damaligen ärztlichen Direktor Dr. End verantworteten Krankenhaus-Jahresbericht 1934/35
wird mit Befriedigung vermerkt, daß von den bis jetzt beim Erbgesundheitsgericht verhandelten
, hier untergebrachten Geisteskranken weder der Kranke selbst, noch sein gesetzlicher
Vertreter einen rechtsgültigen Einspruch erhoben hat, so daß also bis jetzt keiner unserer
Anstaltsfälle beim Erbgesundheitsobergericht anhängig wurde41. Da es zunächst durchaus
selten (vorkommt), daß ein Kranker sich freiwillig und sofort dem Beschluß fügt, wird dieser
Erfolg einer entsprechenden Aufklärung zugeschrieben, die man sowohl den Kranken selbst
wie auch den vielfach uneinsichtigen und zunächst verärgerten Angehörigen angedeihen läßt.
Diese ärztliche Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit dem »Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses« wird im Bericht als zwar sehr zeitraubende, aber lohnende
Aufgabe gewürdigt. Insgesamt sind in dem vom 1. April 1934 bis 31. März 1935 reichenden
Berichtszeitraum, der mit dem Höhepunkt der Zwangssterilisierungen zusammenfällt,
28 Psychiatrie-Patienten des Sigmaringer Landeskrankenhauses, 18 Männer und 10 Frauen,
aufgrund eines Beschlusses des Erbgesundheitsgerichts vor ihrer anschließenden Entlassung
unfruchtbar gemacht worden. Als besonderes Vorkommnis wird erwähnt, daß ein Kranker im
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Sterilisierungsoperation, die völlig ordnungsgemäß
durchgeführt wurde, infolge einer Komplikation (Lungenentzündung) starb. In allen
übrigen Fällen seien Operation und Heilungsprozeß störungslos verlaufen.

Ausgehend von den Maßnahmen der »ausmerzenden Erbpflege« in den Anfangsjahren des
Dritten Reiches unterliegt das von den Nationalsozialisten aufgegriffene rassenhygienische
Programm in der Folge einem rapiden, in Schüben verlaufenden und mit den spezifischen
Herrschaftsmechanismen des nationalsozialistischen Regimes verknüpften Radikalisierungsprozeß
, der in der »Vernichtung lebensunwerten Lebens« seit 1939/40 gipfelt42. Der neueren
historischen Forschung zufolge führt von den Zwangssterilisierungen über Schwangerschaftsabbrüche
aus eugenischer Indikation und die seit Anfang 1939 in rund 30 deutschen Heil- und
Pflegeanstalten systematisch betriebenen Tötungen geistig behinderter Kinder ein direkter
Weg zu der bei Kriegsbeginn durch Führererlaß, aber ohne gesetzliche Grundlage und in
völliger Geheimhaltung angeordneten sogenannten »Aktion T 4«, der gezielten und breitangelegten
Ermordung von insgesamt mehr als 70 000 Psychiatriepatienten in sechs über das
Deutsche Reich verteilten Tötungsanstalten.

Unter der Planung und Leitung einer in der Tiergartenstraße 4 in Berlin-Charlottenburg -
daher der Tarnname »Aktion T 4« - angesiedelten Zentralstelle, die mit teilweise renommierten
ärztlichen Gutachtern eng zusammenarbeitet, werden zunächst im Herbst 1939 unter dem
Deckmantel »Planwirtschaftlicher Maßnahmen« per Meldebogen die Insassen aller einschlägigen
Heil- und Pflegeanstalten, Siechenheime und Sanatorien mit persönlichen Daten, Angaben

39 Listenmäßige Erfassung der im Fürst-Carl-Landeskrankenhaus vorgenommenen Zwangssterilisierungen
(ebenda).

40 Vgl. Gabriel Richter: Blindheit und Eugenik 1918-1945. Freiburg i. Br. 1986 (Freiburger Forschungen
zur Medizingeschichte Bd. 15) S. 162. Unter den für diesen Zeitraum in Jahresberichten zur
Durchführung des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« statistisch erfassten Zwangssterilisierten
befinden sich 135 Männer und 108 Frauen. Die überwiegende Mehrzahl der an »erbkranken«
Männern vorgenommenen Unfruchtbarmachungen in Hohenzollern entfallen damit auf das Fürst-Carl-
Landeskrankenhaus.

41 Bericht des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen für das Rechnungsjahr 1. April 1934 bis
31. März 1935, S.20f. (KASX/4).

42 Zum Folgenden vgl. Schmuhl (wie Anm. 36) S. 161-214.

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