Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0237
Vom Landesspital zum Landratsamt

tung von zwei Pflegekräften des Landeskrankenhauses in die Heilanstalt Weinsberg, von wo
aus die Patienten in der Folge offenbar in die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg zur
Ermordung weitergeleitet werden48. Auch dieses Mal mußten die zu verlegenden Patienten
namentlich gekennzeichnet werden, entsprechend beschriftete Leukoplaststreifen waren zwischen
ihre Schulterblätter zu kleben. Von den insgesamt 91 abtransportierten Sigmaringer
Psychiatriepatienten kehrte ein einziger, ein Mann, im Juni 1941 über die Heilanstalt Zwiefalten
, die vorübergehend als Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Grafeneck gedient hatte,
wieder nach Sigmaringen zurück. Von seinerzeit 213 Psychiatriepatienten des Landeskrankenhauses
sind damit 90 ermordet worden49.

Bei der Bekanntgabe der Todesnachrichten bedienten sich die »Euthanasie«-Bürokraten
der bereits erwähnten Tarnmaßnahmen: Obwohl die Patienten mit großer Wahrscheinlichkeit
alle unmittelbar nach der Ankunft in den Tötungsanstalten Grafeneck beziehungsweise
Hadamar vergast worden sind, liegt bei den gemeldeten Todesdaten bei den Patienten des
ersten wie auch des zweiten Transports jeweils eine Streuung zwischen zwei und drei
Wochen; als Todesorte werden, vermutlich aufgrund der erwähnten Austauschaktionen,
neben Grafeneck und Hadamar auch die Tötungsanstalten Hartheim bei Linz, Sonnenstein bei
Pirna sowie Bernburg an der Saale aufgeführt50. Die Bandbreite der genannten, mit Sicherheit
fingierten Todesursachen reicht von Herzschlag und Hirnschlag bis zum Zahngranulom mit
anschließender Mundbodenphlegmone und Sepsis und zur Gesichtsrose mit anschließender
Blutvergiftung51. Die 90 ermordeten Kranken stammen aus ganz Hohenzollern sowie angrenzenden
Orten, die Herkunftsorte der Opfer sind Stetten bei Haigerloch, Sigmaringen, Imnau,

48 Noch im Dezember 1940, nur wenige Tage nach der Ermordung der Sigmaringer Patienten, die einen
der letzten Transporte bilden, wird in Grafeneck »programmgemäß«, nach weitgehender Erfüllung der
vorgegebenen Aufgabe, der Tötungsbetrieb eingestellt. Ein Großteil des Personals zieht um, um im
hessischen Hadamar die nächste Tötungsanstalt betriebsfertig zu machen; vgl. Klee (wie Anm.36)
S. 289-293. Diese ist dann auch über die Zwischenanstalt Weinsberg die Endstation des zweiten Sigmaringer
Transports im März 1941, der den Charakter einer »Nachlese« (Faulstich [wie Anm. 36] S. 254) nach
bereits vollbrachter Hauptmordaktion hat.

49 Eine in den staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsakten enthaltene Liste der am 12.12.1940 aus der
Nervenabteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses Sigmaringen verlegten Patienten führt 73 Personen
(34 Männer und 39 Frauen), darunter auch den erwähnten Rückkehrer, auf, eine Auflistung der am
14.3.1941 verlegten Kranken nennt 19 Namen (14 Männer und 5 Frauen). In weiteren, gleichfalls in
diesem Aktenzusammenhang befindlichen Listen (Liste A mit Anlage sowie Liste D), die vermutlich im
Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach dem Krieg entstanden sind und die im Dezember
1940 und sodann die im März 1941 nach unbekannt beziehungsweise nach Weinsberg abtransportierten
Patienten mit Name, Geburtsdatum, Aufnahmedatum in das Landeskrankenhaus, Diagnose und Arbeitsfähigkeit
aufführen, ist demgegenüber von 72 Verlegten, darunter auch der Rückkehrer, im ersten
Transport und von 19 Verlegten im zweiten die Rede. In einem Schreiben des Amtsgerichts Münsingen v.
24.7.1948 an das Amtsgericht Düsseldorf (ebd.) werden gleichfalls 72 Verlegte im ersten Transport und 19
im zweiten genannt (StAS WÜ29/3, Bd. 1, Nr. 1757). Die Abweichung ergibt sich daraus, daß die
erstgenannte Zusammenstellung irrtümlicherweise auch eine gleichfalls am 12.12.1940 entlassene und
nach Polen abgeschobene Psychiatriepatientin erfaßt; vgl. Richter (wie Anm. 36) Anm. 88. Die Gesamtzahl
der Sigmaringer Psychiatriepatienten zum Zeitpunkt der »Euthanasie«-Morde ergibt sich aus diesen
Verlegungs-Auflistungen sowie der von Schwester Maura genannten Zahl von 122 Kranken, die nach dem
Transport vom März 1941 noch in der Nervenabteilung verblieben sind (Abschrift eines Schreibens von
Schwester Maura an Dr.Hüetlin v. 8.3.1941, StAS WÜ29/3, Bd. 1, Nr. 1757). Zu den Namen und der
Anzahl der in die Tötungsanstalten Verlegten vgl. außerdem Aufnahme- und Entlassungsbuch der
Psychiatrieabteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses 1940-42 (KAS Acc. XIV-1993/4, Nr. 26). Die
Mordopfer werden hier ohne weiteren Vermerk als am 12.12.1940 beziehungsweise 14.3.1941 entlassen aufgeführt
. Unter den ermordeten Sigmaringer Patienten befinden sich auch zwei Juden (s. Anlage zu Liste A).

50 Todesmeldungen und Auflistung der Verlegten mit Todesort u. Todeszeit im Bestand StAS Wü 29/3,
Bd. 1, Nr. 1757.

51 Ebenda.

235


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0237