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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0246
Gabriel Richter

1. Psychiatrische Abteilungen an Krankenhäusern und Kliniken: Sie dienten zur Behandlung
überwiegend akut Erkrankter. Dort wurden Patienten in der Regel höchstens wenige
Monate behandelt, dann entweder entlassen oder in Anstalten verlegt. Dementsprechend hoch
war der Durchlauf an Patienten. Solche Abteilungen verfügten in der Regel höchstens über ca.
250 Betten. Beispiele hierfür sind die psychiatrischen Abteilungen der Universitäten Tübingen
, Heidelberg und Freiburg und die psychiatrische Abteilung des Bürgerhospitales Stuttgart
.

2. Heil- und Pflegeanstalten: Hierher wurden überwiegend »chronisch erkrankte« Patienten
überwiesen, wenngleich auch akut Erkrankte behandelt wurden. Die Verweildauer
erstreckte sich dort über Jahre mit entsprechend geringer Fluktuation. Solche »Anstalten«
umfaßten wesentlich mehr als 300 Betten, nicht selten wurden dort mehr als 1000 Patienten
behandelt, versorgt, verwahrt, gepflegt. »Anstalten« waren größere Gebäudekomplexe, in
deren Geländearealen sich landwirtschaftliche Betriebe, Werkstätten oder andere beschäfti-
gungs- und arbeitstherapeutische Anlagen befanden. Als Beispiele hierfür mögen die Heil-
und Pflegeanstalten Zwiefalten, Schussenried, bei Konstanz, Weissenau, Winnenden, Weinsberg
, Wiesloch oder Emmendingen dienen.

Wie psychiatrische Patienten in den 20er Jahren behandelt wurden, können wir den
Ausführungen Prof. Dr. Hoches entnehmen. Dieser war Ordinarius für Psychiatrie an der
Universität Freiburg und Lehrer des seit 1932 als Abteilungsleiter der Nervenabteilung in
Sigmaringen eingestellten Dr. Hüetlin. Auf Hoches wichtigen Beitrag zur publizistischen
Durchsetzung des »Euthanasie«-Gedankens werden wir noch später zu sprechen kommen.
Hoche meinte, Menschen mit leichteren Formen des periodischen Irreseins müßten frühzeitigen
Abhärtungsmaßnahmen unterzogen werden, wie die Verhinderung des Onanierens bei
Knaben und die Einhaltung der Bettruhe zur Zeit der Menses bei Mädchen. Für Maniker sei
das Wichtigste die Ortsveränderung und Unterbringung in Anstalten, um Gefährdungen wie
zum Beispiel einen Suizid zu vermeiden. Melancholiker sollten vor allem Bettruhe einhalten,
was wiederum die Beaufsichtigung und frühzeitige Erkennung eventueller Selbstmordabsichten
erleichtern sollte. Beim akuten halluzinatorischen Irresein wurden von Hoche Isolierungen
und Reizabschirmung, ausreichende Ernährung, frühzeitige Sondenernährung und gegebenenfalls
Kochsalzinfusionen empfohlen. Bei Angstzuständen erwähnte er die Möglichkeit,
leichtere Formen mit Alkohol, Brom oder einer Bäderbehandlung zu beseitigen3.

Die realen Zustände auf Akutstationen dürfen wir uns durchaus so vorstellen, wie sie sie
uns eine 1936 behandelte Patientin schildert: Niemand sagte uns, wozu wir hier waren und
warum man uns gefangen hielt. Meine ganze Aufmerksamkeit und all mein Scharfsinn wandte
ich nun daran, herauszufinden, was für ein Haus dies war. Ein Krankenhaus konnte es nicht
sein, denn es gab keine ärztliche Untersuchung, kein Gespräch und keine Behandlung. Ich war
in eine stillstehende Welt geraten: alles hier war steril. Wir waren zu Untätigkeit gezwungen
und ins Bett verbannt, obwohl wir körperlich gesund waren ... Tiefer kann ein Mensch kaum
entwürdigt werden. Den Ärzten und Schwestern, die von der Vorgeschichte einer Psychose und
ihrem Sinnzusammenhang nichts wissen und nichts wissen wollen und alles nur für sinnlose
Begleiterscheinungen einer körperlichen Krankheit halten, kommt wahrscheinlich gar nie der
Gedanke, wie sehr sie uns damit demütigen und entwerten. Solange sie nicht mit uns reden,
können sie nichts über uns wissen ... Nach der Visite kam ich ins Dauerbad. Über die Wanne
war eine Segeltuchplane gespannt, nur der Kopf schaute heraus; um den Hals schloß sich ein
steifer Stehkragen ... Völlig erschöpft und zerschlagen, zermürbt vom fehlenden Schlaf und der
Unbeweglichkeit des eingeschlossenen Halses, stieg ich am nächsten Morgen aus der Wanne.

3 Zu Hoches therapeutischen Empfehlungen siehe Bettine Kircher: Alfred Erich Hoche (1865-1943).
Versuch einer Analyse seiner psychiatrischen Krankheitslehre. Med. Diss. Freiburg 1987. Hoches
Vorstellungen auch zusammengestellt in: Gabriel Richter: Alfred Erich Hoche in seiner Zeit. In:
Forum, Hauszeitschrift für die Mitarbeiter am PLK Emmendingenil (1990) S.31-35.

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