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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0278
Gabriel Richter

So schließen die Akten der »AktionT4« in Sigmaringen mit der folgenden Nachricht
Maiers: Im Regierungsbezirk Sigmaringen hat am 1. 8.1939 als einzige Anstalt zur Unterbringung
von Geisteskranken die Nervenabteilung des Landeskrankenhauses hier bestanden. Die
Nervenabteilung umfasst durchschnittlich 225-230 Betten. Durch die Verlegung von 91 Geisteskranken
im Winter 1940/41 sind zwei kleinere Gebäude der Nervenabteilung freigeworden
. Im Hinblick auf den ausserordentlich großen Raummangel im Landeskrankenhaus ist
beabsichtigt, die beiden freigewordenen Gebäude durch Um- und Erweiterungsbauten den
Zwecken der allgemeinen Krankenabteilung des Landeskrankenhauses, also zur Unterbringung
von körperlich kranken, zuzuführen. Der Herr Reichsminister des Innern, dem ich von
den Plänen über die künftige Verwendung der Gebäude berichtet habe, hat der beabsichtigten
Verwendung der Gebäude mit Erlass vom 7.4.1941 Vb 18.2.41 - 2800 - zugestimmt. Auf der
Nervenabteilung waren am 1.8.1939 vorhanden, ein leitender Facharzt, ein Volontärarzt und
7 männliche Irrenpfleger. Der leitende Arzt der Abteilung ist seit Dezember 1940 vom stellv.
Generalkommando des Wehrkreises V nach Strassburg abgeordnet; die Stelle des Volontärassistenten
ist - wegen des allgemeinen Arztemangels - nicht besetzt; die ärztliche Leitung der
Nervenabteilung wird vom leitenden Arzt des Landeskrankenhauses wahrgenommen. Gegenüber
7Irrenpflegern am 1. 8.1939 waren am 1.11.1941 nur 3 Pfleger vorhanden. 4 Pfleger sind
zum Wehrdienst eingezogen. Die Nervenabteilung war am 1.11.1941 mit 135 Geisteskranken
belegt*29. 90Patienten aus den Hohenzollerischen Landen waren in Grafeneck und Hadamar
ermordet worden.

8. BEDROHUNGEN BIS KRIEGSENDE

Nach der zweiten Abholung im März 1941 blieben die Patienten, wie in anderen
Anstalten, weiter von Tötungen bedroht. Der Abbruch der »Aktion T 4« im August 1941
bedeutete lediglich das Ende der ersten zentral organisierten Vergasungen. So wurden zum
Beispiel im nahegelegenen Zwiefalten nach Abschluß der »Aktion T 4« Patienten durch
Injektionen oder Uberdosierungen von Schlafmitteln ermordet, in Wiesloch wurde eine
sogenannte »Kinderfachabteilung« zur Tötung von Kindern unterhalten. Einzelne Anstalten
waren im Rahmen der Tötungsaktionen vollständig aufgelöst worden, so zum Beispiel die
Illenau oder die Anstalt bei Konstanz. Wieder andere Anstalten verfügten nur noch über einen
Bruchteil ihrer Patienten, zum Beispiel Emmendingen oder Weißenau. In den Jahren 1943/44
fielen wieder etliche Menschen den diesmal »Aktion Brandt« genannten Tötungen zum Opfer.
Diese Aktion hatte zum Ziel, so viele Menschen in den Anstalten zu ermorden, wie
Lazarettbetten benötigt wurden. Schließlich starben, wie zum Ende des Ersten Weltkrieges,
viele Patienten an Auszehrung und dadurch bedingten Infektionen. Anderenorts, zum Beispiel
in Kaufbeuren, ließ man Menschen systematisch verhungern. Zu diesem Zweck wurde
eine sogenannte »Entzugskost« erprobt und verabreicht130.

Ernst Klee, namhafter Autor zu den Geschehnissen im Dritten Reich, meinte in einem
Filmbericht sinngemäß: Die Anstalten waren die Vorhöfe zu den Gaskammern der Vernichtungsanstalten
. Das heißt, mit eigenen Worten: Die Anstalten hielten zu tötende Patienten
vor, die dann je nach Raum- und Versorgungsbedarf an den eigenen Anstalten oder den
Kapazitäten der Vernichtungsanstalten »abgerufen«, sprich: ermordet wurden.

In Sigmaringen finden sich genug Indizien für fortbestehende Bedrohungen der Patienten
nach Abschluß der »Aktion T 4«, die ihrerseits im Deutschen Reich schon 70000 Menschen

129 StAS Ho. 235 Nr. 133. Schreiben des RpLdHL Maier an den RpdHL vom 29.11.1941.

130 FAULSTiCH(wie Anm. 5) S. 289-323; Richter und Faulstich (wie Anm. 80) S. 96-103; May (wie
Anm. 75) S.26ff. und 52ff.; Gleinig und Gabrysch (wie Anm. 75) S.22, 44; Billmaier (wie Anm. 75)
S. 43ff. und 49ff.; Gernot Römer: Die grauen Busse in Schwaben. Augsburg 1986.

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