Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0281
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«

haben, müßten für die entsprechende Anzahl Geisteskranker Strohsäcke bereitgestellt
werdenUi.

Mit Erlaß des Reichsministers des Innern vom 19.12.1942 mußten erneut, wie schon im
Herbst 1939, alle nervenkranken Patienten mit Meldebögen angezeigt werden. Gleichzeitig
wurden die Anstaltsleiter aufgefordert, künftig monatlich Bestandsmeldungen an Anstaltsinsassen
abzugeben142.

Am 22.4.1943 mußte Landesdirektor Maier dem »Reichsbeauftragten für die Heil- und
Pflegeanstalten« in Berlin, einer zentralen »Institution« bei der Durchführung der »Euthanasie
«, mitteilen, wieviele psychiatrische Patienten in welchem Maße arbeitsfähig seien - bei der
»Aktion T4« das entscheidende Selektionskriterium. Maier berichtete, daß von den insgesamt
jetzt 134 Patienten der größte Teil wegen höheren Alters oder wegen der Art ihrer Krankheit
zu irgendwelcher Beschäftigung nicht zu verwenden seien. 59 Patienten würden im Hause zu
ausgiebiger Arbeit herangezogen143.

Am 4.2.1944 mußte zum zweiten Male ein Patient nach Zwiefalten verlegt werden. Er
kehrte nicht mehr in die Nervenabteilung Sigmaringen zurück. Eine Wiederaufnahme ist nicht
vermerkt144.

Über das sogenannte »Hungersterben« zu Ende des Krieges in Sigmaringen läßt sich
zumindest in bezug auf die weiblichen Patienten sagen, daß 1944 6, 1945 3 und 1946
8 Patientinnen an den entsprechenden Erkrankungen »Marasmus«, »Kachexie« und »Lungentuberkulose
« verstorben sind. Diese Diagnosen würden zu Auszehrungen mit den dazugehörigen
Infektionskrankheiten passen. Die Informationen erlauben es jedoch nicht, eine Hungerkatastrophe
größeren Ausmaßes anzunehmen145. Ubereinstimmend verneinten auch alle in
der psychiatrischen Abteilung Sigmaringen tätigen Zeugen, die von 13.-17.11.1947 verhört
wurden, daß eine auffällig erhöhte Sterblichkeit in der Abteilung bestanden hätte146.

9. BILANZ

Dr. Hüetlin, der zu Kriegsende wieder nach Sigmaringen zurückkehrte, sogleich auch
noch ärztlicher Direktor wider Willen durch die Inhaftierung von Dr. Lieb geworden war, zog
im Jahresbericht 1945/46 Bilanz aus erster Hand: Das Berichtjahr 1945/46 war wie kein
anderes seit dem bald 100-jährigen Bestehen unserer Anstalt durch die politischen Verhältnisse
bestimmt. In dieses Jahr fällt der völlige Zusammenbruch des sogenannten »Dritten Reiches",
des nationalsozialistischen Deutschlands unter der Führung Adolf Hitlers. Man darf wohl
sagen, dass noch nie in der Geschichte der Menschheit ein Volk und Reich wie Deutschland,
welches einst das Kernstück des abendländischen Europas war, so ohnmächtig und zertreten
am Boden lag. Das »Dritte Reich», dem seine Machthaber ein 1000-jähriges Bestehen
prophezeit hatten, war ein nur dutzendjähriges Reich geworden. Überheblichkeit, Maßlosigkeit
, Rechtsbeugung auf allen Gebieten, totalitärer Glaube an die Macht und das Können des
Menschen in einem gänzlich autonomen Sinne, radikale Abkehr von Gott mussten diesen
Untergang heraufbeschwören. »Lügen haben kurze Beine«. Dieses Sprichwort hat sich voll

141 StAS Ho. 310 Nr. 268. Schreiben des ärztl. Direktors des FCL Sigmaringen, Dr. Hermann Lieb, an
den RpLdHL vom 14.11.1942.

142 StAS Ho. 235 Nr. 133. Schreiben des Rmdl (IVg879611/42 - 5100), Dr. Linden, an den RpdHL vom
19.12.1942 unter Bezugnahme auf einen Erlaß vom 10.7.1940 (IV g 6091/40 - 5100).

143 StAS Ho. 235 Nr. 133. Schreiben des RpLdHL Maier an den RpdHL vom 22.4.1943.

144 KAS XIV Acc. 1993-4 Lfd. Nr. 302. Krankengeschichte des Friedrich L.

145 KAS XIV Acc. 1993-4 Lfd. Nr. 43. Aufnahmebuch Annahaus. Zum Hungersterben: Heinz Faulstich
: Neben dem Morden noch ein geplantes Hungersterben? Spektrum der Psychiatrie und Nerven-
heilkunde4 (1990) S. 158-162.

146 Grafeneck-Sigmaringen.

279


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0281