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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1996/0330
Neues Schrifttum

Umbau des Hauses in den 1820er Jahren, der ein wachsendes Bedürfnis nach »Privatheit«, eine eindeutige
Grenzziehung zu den anderen im Haus lebenden Familien signalisiert. Familien, deren - wie
allgemein bekannt - Erscheinungsbild sich ebenfalls veränderte: uneheliche Kinder und außerhalb
des »Hauses« berufstätige Frauen (auch Mütter) zeugen von sich wandelnden Geschlechter- und
Generationenbeziehungen.

Daß der gewählte mikrohistorische Zugriff für die Geschichte des Hauses und seiner Bewohner
im 20. Jahrhundert Gefahr läuft, sich im Anekdotischen zu verlieren, hat die Autorin selbst erkannt
(S. 292) und dementsprechend summarisch behandelt.

So ist es vielleicht kein Zufall, daß die von Hochstrasser am Ende ihrer Untersuchung zur methodischen
Einordnung ihrer Arbeit ausführlich unterbreitete Kontroverse zwischen den Verfechtern
einer Geschichtswissenschaft als »historischer Sozialwissenschaft« und einer lebensweltlich orientierten
Geschichtsschreibung in Deutschland (mit gewichtigen Ausnahmen) am heftigsten zwischen
Frühneuzeithistorikern und ihren Kollegen, die sich mit dem 19. und 20. Jahrhundert beschäftigen,
ausgefochten wurde. Über das »Einzelne« das »große Ganze« zu erfassen, scheint für das 20. Jahrhundert
nicht mehr möglich. Damit sei freilich nicht bestritten, daß es auch für die Geschichte des
20. Jahrhunderts ein lohnendes (und inzwischen vielfach erfolgreich praktiziertes) Unterfangen ist,
die »großen Entwicklungen« in ihren kleinräumigen Brechungen zu thematisieren.

Am Ende legt man das Buch mit zwiespältigen Gefühlen aus der Hand: mit Respekt für die gelungene
Präsentation, vor allem aber für das hohe methodische Reflektionsniveau, das konsequent
die subjektiven Prämissen des Forschungsprozesses expliziert und damit in einem wesentlichen
Punkt die methodischen Postulate einer lebensweltlichen Geschichtsschreibung erfüllt - aber auch
mit Unbehagen. Unbehagen, das sich daraus speist, daß der Anspruch, in Auseinandersetzung »mit
dem aktuellen Stand der sozialgeschichtlichen Forschung und Theoriebildung in verschiedensten
Zeiten und Themen (sie)« (S. 284) den Gegenstand zu traktieren, nicht - ich urteile hier als Früh-
neuzeithistorikerin - eingelöst wird. Um das gewichtigste Beispiel zu nennen: Die von der Vf. in
mehrfach als Desiderat angemahnte Studie einer dörflichen Gemeinschaft in einem Realteilungs-
gebiet lag vor (David Sabean, Property, Production, and Family in Neckarhausen, 1700-1870, Cambridge
u.a. 1990), wurde aber nicht rezipiert. Die Einbeziehung der Neckarhausen-Studie hätte
es erlaubt, um wiederum nur ein Beispiel anzuführen, die Geschlechterbeziehungen differenzierter
zu charakterisieren als es geschieht. Mit Verwunderung nimmt man zudem zur Kenntnis, daß die
sich ebenfalls als Frühneuzeitspezialistin verstehende Autorin (S. 294) nur das Kommunalismusparadigma
referiert (ohne die dagegen vorgebrachten kritischen Einwände auch nur anzuführen),
alle anderen den geschichtswissenschaftlichen Diskurs zur Frühen Neuzeit prägenden Interpre-
tamente aber nicht einmal erwähnt. Mit völligem Unverständnis vermag man schließlich nur noch
zu konstatieren, daß Hochstrasser meint, die frühneuzeitliche Lebenswelt beschreiben zu können,
ohne der Rolle der Religion nur zu gedenken. Erst bei der Darstellung des Nationalsozialismus wird
dem Leser eröffnet, daß Jungingen ein katholisches Dorf (S. 233) war. Wie immer man nun den
in seinem Stellenwert für das Verständnis frühneuzeitlicher Geschichte kontrovers eingeschätzten
Faktor »Konfession« bewerten mag, daß es nicht möglich ist »Lebenswelten« ohne ihn zu beschreiben
, belegen nicht nur zahlreiche Forschungen, sondern ist auch unter den Historikern communis
opinio.

Tübingen Gabriele Haag-Moritz

Karl Wegert: Populär Culture, Crime, and Social Control in 18th-Century Württemberg. Stuttgart:
Franz Steiner 1994. 240 S. (Studien zur Geschichte des Alltags Bd. 5).

Seit Norbet Elias in seinem epochemachenden Werk »Über den Prozeß der Zivilisation« darlegte,
wie sich die Sitten, Gebräuche und Einstellungen von der Reformationszeit an ständig verfeinerten,
hat sich ein ganzes Heer von Historikern mit diesem Thema beschäftigt. In der Folge versuchte beispielsweise
der Franzose Robert Muchembled den Nachweis zu erbringen, daß die alteuropäische
Volkskultur seit Beginn der Neuzeit von einer Kultur der Eliten zunehmend marginalisiert und zerstört
wird. Die Reaktion auf Muchembleds Sicht der Dinge war durchaus geteilt, was zu einer weiteren
Auseinandersetzung mit der Volkskultur in der Neuzeit führte, zumal mit ihren Überlebenschancen
in einem Umfeld, das großenteils von Staat und Kirche dominiert ist.

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