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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1996/0332
Neues Schrifttum

Leider versteht Rall unter »erweisbarer Wahrheit« offenkundig nichts anderes als die streng
chronographische Nachzeichnung des privaten und politischen Lebensweges des Herrschers, wobei
er gelegentlich zwei divergierende Stimmen aus der Literatur gegenüberstellt und sich dann
für die dem Kaiser geneigtere entscheidet. Das ist dann die »erweisbare Wahrheit«, mit der sich
der Leser zu begnügen hat, ohne auch nur an einer Stelle eine echte Diskussion der politischen
Konzeption Wilhelms - wenn vorhanden -, seiner persönlichen Schwächen, die große Kreise
zogen und mitverantwortlich dafür waren, daß Deutschland in diesem Jahrhundert zum ersten
Mal in den Untergang marschierte, zu erleben. Welchen Sinn hatte die Flottenaufrüstung unter
der unseligen Ägide des Admirals von Tirpitz, welche Bedeutung die deutsche Kolonialpolitik im
Vergleich zur britischen, belgischen, französischen? Warum geriet Wilhelm, den der Autor beinahe
begeistert als Regenten schildert, der das Heft fest in der Hand hatte, im Krieg so nachhaltig
unter den Einfluß der Militärs? Hatte er letztendlich das Heft nur bei Schönwetter fest in der
Hand? Bei Rall wird all dies durchaus angesprochen, aber eben nur gestreift, und wenn er sich
einmal zu einem Urteil durchringt, dann erfahren wir nicht, worauf sich dieses stützt. Ist das wissenschaftlich
?

Ausführlich widmet sich der Autor dem körperlichen Gebrechen des Kronprinzen, das gleich auf
S. 23 in naturalistischer Darstellung eingeführt wird und, ganz Röhl und seiner psycho-medizini-
schen Deutung folgend, leitmotivisch durchgehalten wird bis zum »bitteren Ende.« Körperliche
Gebrechen interessieren Rall sehr und bieten ihm die Basis für die Gesamteinordnung einer Per-
sönlchkeit, egal, ob es sich um Bismarck oder um den Vorsitzenden der Zentrumspartei seit 1893,
Ernst Lieber, handelt, von dem wir auf S. 80 unvermittelt erfahren, er sei »aufgrund eines Magenleidens
erregbar und sprunghaft gewesen«. Welche Rolle Kanzler, Regierung und Parlament im Wilhelminischen
Kaiserreich gespielt haben, wie sehr das »persönliche Regiment« des Kaisers die politische
Rückständigkeit des Reiches im Vergleich zu seiner industriellen Prosperität versinnbildlichte,
scheint für Rall kein Thema zu sein. Dafür in üppigem Dekor dargebrachter Mutter-Sohn-Konflikt
(von Friedrich III. auf Bismarck) verlagerter Vater-Sohn-Konflikt, schauprächtige Besuche von und
bei Herrschern und die bisweilen zu ausführliche, weil ihre Bedeutung überschätzende Paraphrase
der Reichstags-Thronreden des Kaisers.

Ein Literaturverzeichnis sucht der interessierte Leser vergeblich; er muß sich auf die Angaben bei
den Fußnoten beschränken, was die Suche nach der Literatur, auf der Rall wesentlich fußt, sehr erschwert
. Die Gestaltung der Anmerkungen ist geeignet, mehr als einmal Befremden hervorzurufen,
hält es der Autor doch für nötig, wortreich die dynastischen Verhältnisse darzulegen, was in manchen
Fällen auch notwendig ist, sicherlich aber nicht, um nur ein Beispiel zu nennen (S. 407ff.), um
sich Alexander von Battenberg zu widmen oder zwei Seiten später der Prinzessin Therese von
Bayern.

Das Bemühen des Autors, dem 1918 »zurückgetretenen« und geflohenen Kaiser Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen, scheitert auf der ganzen Linie, weil er, nur äußerst selten auf neue Quellen gestützt
, einseitig interpretiert und ansonsten zu sehr in den Fußstapfen Röhls wandelt (dessen These
vom Antisemitismus Wilhelms er freilich nicht übernimmt). Das Buch Ralls stellt eine umfangreiche
Zusammenfassung der bisherigen Literatur dar, ein Kompendium, das in dem Willen entstand,
eine andere Sicht der Geschichtswissenschaft auf Wilhelm II. zu bewirken. Dazu bedarf es freilich
eigener wissenschaftlicher Forschung, die hier zumindest nicht im genügenden Maße geleistet worden
ist. Ralls Arbeit wird daher bereits vergessen sein, wenn Röhls zweiter Biographie-Band erscheinen
wird.

Neresheim Frank Raherg

Roland Weis: Würden und Bürden. Katholische Kirche im Nationalsozialismus. Freiburg im Breisgau
: Rombach 1994. 247 S.

Auf solider Quellengrundlage - ausgewertet wurden die einschlägigen Bestände des Erzbischöflichen
Archivs Freiburg und des Generallandesarchivs Karlsruhe - und intensivem Literaturstudium
hat der Vf. eine gut lesbare Darstellung der katholischen Kirche des Erzbistums Freiburg unter dem
Nationalsozialismus geschaffen. Abgestellt wurde die Arbeit weniger auf die von Erzbischof Conrad
Göber zu verantwortende Politik der Kirchenleitung, die gleichwohl gebührend gewürdigt

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