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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0029
Tirol in Schwaben

dem schweizerischen Großdietweil stammende Knecht Hans Weibel von den Dienstknechten
des Dorrwirts nach herrschendem Rügebrauch in den Brunnen geworfen, nachdem er nachts
bei seiner gleichermaßen beim Wirt in Diensten stehenden Angebeteten durch das Fenster eingestiegen
war und sich schlußendlich von seiner Holden mit einem Jauchzer verabschiedet
hatte58. Daß schließlich auch das Heimweh mancher Zuwanderer deren Integration in der
neuen Heimat erschweren konnte, illustriert ein Vorfall aus Thalheim zu Beginn der 1650er
Jahre: Dem aus österreichischen Kriegsdiensten in seinen Heimatort auf dem Heuberg
zurückgekehrten Hanns Boos läuft gleich mehrfach seine aus der Tiroler Grafschaft Reutte
stammende Ehefrau Anna Dieffenbronn wieder in ihre alte Heimbet davon. Nachdem es
Boos auch mit Schlägen und Überzeugungsarbeit nicht gelingt, sie dazu zu persuadieren, mit
ihm in Thalheim zu hausen zu helfen, verkauft er schließlich seinen hiesigen Besitz und zieht
seinerseits zu seiner Frau nach Tirol59.

Reibereien zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern sind auch aus der benachbarten
Grafschaft Friedberg-Scheer überliefert: In Marbach gibt es bereits in den 1650er Jahren Unstimmigkeiten
zwischen den Einheimischen und der »Schweizer Partei«, wobei ein eidgenössischer
Zuwanderer dem anderen vorwirft, daß er zu den Schwaben halte. In Günzkofen läßt
1664 ein Alteingesessener gar verlauten, es sei kein Glück mehr im Land, seitdem der Teufel
die Schweizer hereingeführt habe. 1666 wird auch in Friedberg-Scheer die Forderung nach
Ausschaffung der Hintersassen erhoben, die in den Dörfern alle Ungelegenheiten verursachten
; das Oberamt Scheer verlangt daraufhin ein Verzeichnis der Hintersassen. Zwei Jahre später
wird die Gemeinde Oelkofen mit der Klage vorstellig, daß Fremde auf eigene Faust ins
Dorf zögen und später ihre ganze Verwandtschaft hereinbrächten60.

Wie gerade auch die in den Herrschaften an der Oberen Donau faßbaren Migranten belegen
, handelt es sich bei den Zuwanderern in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg
ganz überwiegend um wirtschaftlich schwach bemittelte Personen, die in ihre neue Heimat
zumeist nur bescheidene Vermögenswerte mitbringen. Nur in wenigen Fällen zumeist in der
unmittelbaren Nachkriegszeit, als in vielen Dörfern Güter brach und unbestellt liegen, gelingt
einigen von ihnen über Einheirat oder günstige Erwerbs- und Startbedingungen von seilen der
Grundherren der Aufstieg in die bäuerliche Mittel- oder Oberschicht ihrer neuen Heimat.
Von den 59 Zuwanderern, die sich auf Dauer in den Ortschaften der Grafschaft Friedberg-
Scheer niederlassen, kommen ausweislich der Quellennennungen lediglich sechs zu einem eigenen
Bauernhof, bei weiteren fünf ist von einem Gütle die Rede. Die anderen sind wohl der
unterbäuerlichen Dorfarmut, den Taglöhnern oder Söldnern, mit nur ganz bescheidenem Bodenbesitz
zuzurechnen, wobei vielfach ein Handwerk für zusätzliche Einnahmen sorgt61.

Von Interesse wären schließlich auch die politischen Auswirkungen des Migrationsschubs
auf die Territorien an der Oberen Donau und hier besonders auf die Untertanenkonflikte, die
im 17. und 18. Jahrhundert in nachhaltiger Weise vor allem die hohenzollerischen Grafschaften
Veringen und Sigmaringen sowie die waldburgische Grafschaft Friedberg-Scheer erschüttern62.

58 Amtsprotokoll der Grafschaft Sigmaringen 1653-1654 (wie Anm. 31), Eintrag v. 13. 10. 1654,
fol. 143rff.

59 Amtsprotokoll der Grafschaft Sigmaringen 1650-1652 (wie Anm. 39), Eintrag v. 7. 4. 1650, fol. 34rf.

60 Vgl. Haug (wie Anm. 23), S. 294.

61 Haug (wie Anm. 23), S. 300. Günther Franz (wie Anm. 2), S. 109, schätzt die sozialen Aufstiegschancen
auch für arme Zuwanderer in der unmittelbaren Nachkriegszeit demgegenüber günstiger ein und
konstatiert sogar eine vorübergehende Verwischung ständischer Grenzen im Bauerntum.

62 Vgl. Gerhard Deutschmann: Die Grafschaft Veringen in der frühen Neuzeit. Ein Beitrag zum Verhältnis
von Herrschaft und Genossenschaft. Straßberg 1970 (Zulassungsarbeit zur Fachprüfung in Geschichte
für Reallehrer, masch.-schr.); Andreas Zekorn: Zwischen Habsburg und Hohenzollern. Verfas-
sungs- und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17. und 18. Jahrhundert. Sigmaringen 1996 (= Arbeiten
zur Landeskunde Hohenzollerns Bd. 16); Martin Zürn: »Ir Aigen Libertet«. Waldburg, Habsburg
und der bäuerliche Widerstand an der oberen Donau 1590-1790. Diss. phil. Konstanz 1994 (masch.-schr.).

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