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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0040
Walter Knittel

Struktur der Arbeitsimmigranten durchaus. Während die erste Phase durch junge, unverheiratete
, meist männliche Individuen geprägt ist, sind in der zweiten Phase häufiger ältere, verheiratete
Personen vertreten1''.

Besonders auf die überwiegende Mehrzahl der saisonalen Erdarbeiter bei den Großprojekten
mag zutreffen und den bewußt provisorischen und temporären Charakter ihrer Auswanderung
unterstreichen, was die badischen Gewerbeaufsichtsbeamten in ihrem Jahresbericht
1911 (durchaus in einem elitären Vertrauen auf die damals weitverbreitete vermeintliche Gewißheit
der eigenen nationalen Überlegenheit) als »Besonderheiten der romanischen und slawischen
Arbeiter« vermerkten: Zumeist suchen sie nicht dauernden Lebensunterhalt in der
deutschen Industrie; sie haben vielmehr die Absicht, nur eine bestimmte Reihe von Jahren bei
uns zu arbeiten, Geld zu verdienen, Geld zu sparen, um dann in ihre Heimat zurückzukehren
und mit den Überschüssen, soweit solche nicht vom Lebensunterhalt der in der Heimat verbliebenen
Familien verwendet worden sind, irgendetwas zu beginnen ... In gewissen Zeitabständen
, gewöhnlich im Winter, besuchen die Ausgewanderten ihre Heimat; mit Vorliebe
wählen sie daher Betriebe, die von der Witterung abhängig sind, wie Bauhandwerk, Steinbrüche
, Ziegeleien, und schließen häufig von vornherein ihren Arbeitsvertrag auf die Dauer
einer Kampagne ab ... Zwar im fremden Land lebend, bleiben die Ausländer mit ihrem Denken
und Fühlen, mit ihrer ganzen Lebensweise in der Heimat, streng abgeschlossen von jedem,
der kein Landsmann ist... Polen und Italiener, auch wenn sie schon seit mehreren Jahren in
Deutschland arbeiten, eignen sich kaum die notwendigsten deutschen Worte an ... Der Begriff
der Reinlichkeit ist und bleibt bei den romanischen und namentlich den slavischen Arbeitern
nach unseren Begriffen (sie!) unterentwickelt; die Wascheinrichtungen der Betriebe erfreuen
sich zumeist keiner besonderen Beliebtheit; diese Darbietungen werden nur selten regelmäßig
benutzt. Da sie nicht unter Volksschulzwang aufgewachsen sind, können die meisten höchstens
ihren eigenen Namen schreiben, und auch dies geht nur schwer genug. Die ganze Aufmerksamkeit
ist auf Geldverdienen gerichtet ... Mit dem Verdienste verfahren sie so sparsam als
möglich; sie gönnen sich kein Vergnügen, das Geld kostet2*.

Zudem war die Fluktuation an den einzelnen Arbeitsstellen offensichtlich sehr hoch. Del
Fabbro geht davon aus, daß im Durchschnitt jeder Migrant pro Saison mindestens ein- bis
zweimal den Arbeitsplatz - oft über die Landesgrenzen hinaus - wechselte und es häufiger zu
Vertragsbrüchen und bei Vermietern und Gastwirten zu Zechprellereien kam29. Interessant ist
in diesem Zusammenhang auch die Verweildauer der rund 250 italienisch sprechenden Arbeiter
in Aldingen: 46 von ihnen blieben maximal bis zu einem halben Monat, 36 bis zu einem
Monat, 98 bis zu drei Monaten, 56 bis zu sechs Monaten, 15 bis zu zwölf Monaten, drei über
zwölf Monate. Die größte Anzahl der Arbeiter blieb also demnach höchstens für ein halbes
Jahr in Aldingen.

27 Del Fabbro: Transalpini (wie Anm. 10), S. 249ff., sieht insgesamt vier Phasen der Integration der Arbeitsimmigranten
, wenn auch regional unterschiedlich. Die dritte Phase bringt zunehmend Frauen und
Familienangehörige nach Deutschland, während sich in der letzten Phase die Integration der ehemaligen
Saisonarbeiter in ihrer neuen Heimat stabilisiert. Dies trifft vorwiegend auf die Arbeiter in den Kohle- und
Eisenerzrevieren in Lothringen und im Rheinland und Westfalen sowie für die Ziegeleien in Bayern zu.
Für unsere Region mag dies allenfalls für einzelne Fabrikarbeiter und Bauarbeiter im örtlichen Baugewerbe
zutreffen.

28 Hier zit. nach Schäfer (wie Anm. 9), S. 58

29 Del Fabbro: Italienische Industriearbeiter (wie Anm. 5), S. 207. Dies traf offensichtlich nicht nur auf
(eher unstetere) Erdarbeiter, sondern offensichtlich auch auf Fabrikarbeiter zu. Annemarie Conradt-
Mach, Villingen-Schwenningen, wies mich freundlicherweise daraufhin, daß die Fluktuation unter den
zahlreichen »Gastarbeitern«, die während des industriellen Aufschwungs des württembergischen Dorfes
Schwenningen zur Industriestadt als Arbeitskräfte ein wichtige Rolle spielten, in der Zeit ungeheuer hoch
war und diese Wechselmöglichkeiten ein gewisses »Machtpotential« der Arbeiter darstellten.

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