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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0052
Roland Peter

Landkreis Neustadt wurde sogar die Abgabe von Fuchsfleisch geplant. Berühmt-berüchtigt
war auch das äußerst minderwertige »Russenbrot«, das zu 28 Prozent aus Zuckerrüben bestand29
.

Die Folge waren nicht nur zahlreiche Erkrankungen, viele Ostarbeiter starben auch durch
die Kombination von schlechter Ernährung und überharter Arbeit. 1943 meldete der
Kommandeur des Kriegsgefangenenlagers in Villingen, daß der Arbeitseinsatz immer wieder
zu Todesfällen führe. Bei einem Kommando von 36 Mann in der Industrie seien innerhalb
von zwei Monaten vier gestorben. Der Kommandant: In diesem Kommando waren nur zwei
ausreichend ernährt: die beiden Köchei0. In vielen Betrieben suchten die Betroffenen Essen in
Mülltonnen, manchmal aßen sie auch Gras. Bei der Aluminiumfabrik in Rheinfelden kursierten
sogar Gerüchte über Kannibalismus unter den russischen Gefangenen. Oftmals erlebte
die Bevölkerung wie etwa in Mengen den Hunger hautnah mit, als die Zwangsarbeiter vor
Bäckereien bettelten31. Die Erscheinung nahm Mitte 1944 so große Ausmaße an, daß der
badische Gauleiter Robert Wagner die Kreisleiter aufforderte, der Bettelei entschieden entgegenzutreten
*1.

Mit ihren rassistischen Vorschriften entsprachen die Nazis aber kaum den Bedingungen,
die in den Betrieben für notwendig erachtet wurden. Von dort hagelte es deshalb seit Frühjahr

1942 Proteste gegen die Ernährungsvorschriften. Dahinter steckte aber weniger Menschenfreundlichkeit
, als vor allem das Ziel, die Leistung der ausländischen Beschäftigten zu erhöhen
. Das war nur bei einer besseren Versorgung möglich. Viele Unternehmen nutzten deshalb
ihren Spielraum und verbesserten die Versorgung aus eigenem Antrieb33. Insgesamt waren
die Bedingungen höchst unterschiedlich: In manchen Betrieben stahlen Wachleute einen
Teil der Rationen, in anderen blieb die Firmenleitung der NS-Linie treu. Ein ukrainischer
Zwangsarbeiter der Singener Maggi schilderte etwa: Die Arbeit war schwer und die Verpflegung
miserabel: Es gab Suppe, in der es von Maden wimmelte. Das Betteln um mehr Brot oder
um besseres Essen wurde vom Lagerleiter mit Prügel beantwortet3*.

Die Leistung der Ostarbeiter in den Fabriken lag in den Anfangsjahren sehr niedrig und im
Schnitt bei unter 70 Prozent deutscher Beschäftigter. Das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche
sorgte aber für bessere Ergebnisse. Zum einen verstärkten die Industriebetriebe die Anlernung
und sie veränderten die Arbeitssysteme, zum anderen wurden die Zwangsarbeiter mit
Bestrafung und Terror bedroht.

Die Anlernung gelang so gut, daß Ende 1943 bei Daimler-Benz Mannheim über 50 Prozent
der Ausländer zu den angelernten Kräften gehörten. Zu den neuen Arbeitssystemen zählten
vor allem in den relativ jungen Betrieben der Luftwaffe, aber auch bei Daimler-Benz und Opel
der Einsatz von Fließbändern und Akkordtarifen35. Die Firmen unterteilten dabei die Produktion
bis in die kleinstmöglichen Arbeitsvorgänge und beließen nur noch die absoluten
Spezialarbeiten bei den deutschen Stammkräften. Bei allen anderen Schritten wurden Zwangsarbeiter
eingesetzt, wie der Betriebsdirektor der Fieseier Flugzeug-Werke, Richard Freyer,

1943 in einer Rede vor anderen Firmenchefs schwärmte: Gewinde, die bisher von einem hochwertigen
Spitzendreher auf der Bank vor- und fertiggeschnitten wurden, werden heute zum

29 Peter: Rüstungspolitik (wie Anm. 5), S. 34lf.

30 Generallandesarchiv (GLA) Karlsruhe, 237/28838, Runderlaß vom 8.2.1943.

31 Anton Stehle: Diktatur, Krieg und Besatzungszeit in der Stadt Mengen. In: Von der Diktatur (wie
Anm. 3), S. 151-174, hier: S. 160.

32 STARNS 64, Erlaß vom 4.5.1944.

33 Peter: Rüstungspolitik (wie Anm. 5), S. 340ff.

34 Wilhelm J. Waibel: Schatten am Hohentwiel, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Singen, Konstanz
1995, S. 57.

35 Peter: Rüstungspolitik (wie Anm. 5), S. 348ff.

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