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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0059
»Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling«

Erst wenn wir um das Ausmaß des Weltflüchtlingsproblems wissen, verhindert das eine
verzerrte Perspektivenverengung auf Europa und Deutschland. Damit einhergehende Platitüden
wie »Die kommen ja alle zu uns« beziehungsweise »Das Boot ist voll« beweisen, daß viele
von uns dieser Entwicklung hilflos, ja feindselig gegenüberstehen. Fremdenfeindliche Ausschreitungen
und rechtsradikale Terrorakte gegen Ausländer, zunehmend auch gegen Personen
und Institutionen wie Kirchen, die Asylsuchende unterstützen, gehören inzwischen zum
Alltag der Medienberichterstattung:

Deutschland als Wanderungsziel weckt Hoffnungen und Ängste: Träume derer, die
draußen sind und vielleicht kämen, wenn sie könnten, wecken drinnen Alpträume derer, die
fürchten, daß die Fremden tatsächlich kommen und Teilhabe fordern könnten am vermeintlichen
Glück in jener Mitte des Kontinents, die, wie man sagt, in Deutschland liegt. Apokalyptische
Bedrohungsvisionen gingen 1990/91 um, vom >Sturm auf Europa<, vom >Frontstaat
Deutschland' oder von der >Festung Europa>, umbrandet von einer neuen >Völkerwanderung<.
Improvisierte Krisenstäbe tagten, eine Fachkonferenz jagte die andere. Publizistische Wanderungsbeobachter
sorgten für nervöse Spannungen und hielten, demographischen Kriegsberichterstattern
gleich, Ausschau nach den Vorboten des alles verzehrenden Ungeheuers Homo
migrans, das aus Süd-Nord- und Ost-West-Richtung erwartet wurde. Ergebnis der Schreckbilder
war und ist vielfach eine Abwehr- und Scheuklappenmentalität, die Stillstand hinter Grenzen
als Ruhelage versteht und Bewegung über Grenzen als Gefahr*.

Was aber veranlaßt Menschen zur Flucht? Welche Ursachen führen zum drastischen Anstieg
der Flüchtlingszahlen? Den Krieg im ehemaligen Jugoslawien vor Augen, der Hunderttausende
von Menschen durch Europa trieb, erkennen wir, daß Migration zwei Seiten hat:

(a) Den Verlust von Heimat;

(b) die Aufnahme in der Fremde.

Als Ursachen der Migration sind zu nennen: Migration ist der dauerhafte »freiwillige« Wechsel
einzelner Menschen oder ganzer Gruppen in eine andere Region oder Gesellschaft. Ziel der
großen Wanderungsbewegungen sind seit Mitte des vorigen Jahrhunderts stets die industrialisierten
Staaten der Welt. Die Migrationsforschung unterscheidet Push- und Pull-Faktoren
{Schub- und Sogkräfte). Als primär, d. h. für den Aufbruch aus der angestammten Heimat entscheidend
, gelten Schubkräfte wie Verfolgung, Hunger und Krieg. Erst danach, also sekundär,
wirken sich Sogfaktoren wie Wohlstand und Stadtkultur bei der Wahl des Zufluchtsortes aus.
Deshalb vertritt die UNO schon seit 1980 die These, daß Fluchtprävention bei den Push-Fak-
toren ansetzen muß:

- Menschenrechtsverletzungen (in 130 Staaten der Welt),

- Bedrohung von Minderheiten,

- Krieg und Bürgerkrieg,

- absolute Verelendung,

- wachsende Umweltprobleme (Wasserknappheit, Bodenerosion),

- wirtschaftliche Not und Perspektivelosigkeit (auch ohne direkte Existenzgefährdung)5.

Noch einmal: Wesen und Ursachen der Migration können nur als ein grenzenübergreifender,
vielschichtiger Problemkomplex verstanden werden. Die Verengung auf eine nationalstaatli-

tik und Unterricht. Migration. 1 (1994), S. 12; vgl. Peter J. Opitz: Flucht, Vertreibung, Migration
1945-1995. Zur Problematik von Zuwanderung und Integration. In: Aus Politik und Zeitgeschichte
B 44-45 (1996), S. 3-16.

4 Klaus J. Bade: Vorwort. In: Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte
und Gegenwart. Hg. von Klaus J. Bade. 1993, S. 9.

5 Albert Mühlum: Armutswanderung, Asyl und Abwehrverhalten. Globale und nationale Dilemmata.
In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 7 (1993) S. 8.

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