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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0060
Eugen Baacke

che Betrachtungsweise bietet zwar Lösungsvorschläge für den diffizilen und schwierigen Politikbereich
Asyl- und Ausländerpolitik, kann aber in Zeiten einer gesamteuropäischen Politik
nicht befriedigen: Menschen machen sich davon, wenn die Verhältnisse daheim ihnen unerträglich
(push factor) bzw. die anderswo verheißungsvoll erscheinen (pull factor). Das klingt
schlüssig, besagt aber wenig: Flieht man vor ökonomischer oder politischer Bedrängnis? Bleibt
man im selben Staat (gar in derselben Stadt wie in Berlin bis zum Mauerbau) oder wechselt
man auch den Kontinent? Gehen innovative Intellektuelle (die daheim auch Erfolg haben
könnten) oder konservatives Mittelmaß (das heimischen Wandlungen ausweichen will)? Welche
demographischen Auswirkungen hat Migration auf Entsender- und Empfängerländer?
Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten bestehen zwischen organisierter Auswanderung,
politischer Emigration, Vertreibungen, panischer Tschernobyl-Flucht und neuesten Elendswanderungen
? Wir leben im Jahrhundert der Flüchtlinge, und allein dieser Umstand hebt Fragen
wie diese (und ungezählte ähnliche) aus dem Bereich akademischer Debatten heraus: Jede
Migration ist auch eine 'Abstimmung mit den Füßen<, und je detaillierter man sich mit ihr befaßt
, desto besser für alle Beteiligten!6

Klaus J. Bade weist in seinem exzellenten Sammelband »Deutsche im Ausland - Fremde in
Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart« klärend darauf hin, daß das einfache
Begriffspaar »Einheimische/Fremde« so nicht mehr stimme. Aufgrund des Massenzustroms
von Ubersiedlern aus der ehemaligen DDR und von Aussiedlern aus dem östlichen Ausland
müsse das »komplexe Szenario der neuen Einwanderungssituation« differenzierter betrachtet
werden. Anhand eines 1989/90 gängigen Einwanderungswitzes zeigt er die Komplexität und
die Schwierigkeiten einer Binnendifferenzierung auf: In der Warteschlange von Arbeitslosen
auf dem Korridor eines Arbeitsamtes stehen hintereinander ein Übersiedler aus der DDR, ein
Aussiedler aus Rußland und ein seit langem in Deutschland lebender Türke. Die beiden
>Neubürger< aus dem Osten sind enttäuscht über die Arbeitslosigkeit im Westen: Der Übersiedler
: »Schlange stehen kennen wir von Zuhause...« Der Rußlanddeutsche: »...aber wenigstens
nicht für Arbeit!« Der Türke: »Wir Euch nix gerufen!« - In der verschlüsselten Botschaft
der Pointe zur Disposition gestellt wurde die Unterscheidung von »Einheimischen' und 'Fremden
' nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit (>Deutsche</>Ausländer'): Das >wir< umschloß die
'Einheimischen' (Deutsche und seit langem in Deutschland lebende Ausländer), das >euch< die
neuangekommenen 'Fremden' (deutsche Übersiedler und Aussiedler).

Der Witz beleuchtete Ausschnitte aus dem komplexen Szenario der neuen Einwanderungssituation
, deren dramatis personae fünf Gruppen umschließen: 1. die aus der ehemaligen 'Gastarbeiterbevölkerung
' stammenden 'einheimischen Ausländer'; 2. die früher als DDR-Flüchtlinge
und später als Übersiedler aus den fünf >neuen< Bundesländern zugewanderten und 3. die
als Aussiedler aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa gekommenen 'fremden Deutschen'; 4.
die ebenfalls stark angewachsene Gruppe ausländischer Flüchtlinge und 5. viele Menschen in
Ostdeutschland, die durch die nicht nur als Befreiung, sondern auch als Entmündigung und
Überfremdung durch den Westen erlebte >Wende< Fremde im eigenen Land geworden sind7.

3. DAS EIGENE UND DAS FREMDE

Obwohl die Ethnisierung sozialer Beziehungen und die Ausgrenzung von Minderheiten
durch die Konstruktion von Feindbildern die Frage nach dem Ausmaß der Fremdenfeindlichkeit
in Deutschland geradezu herausfordern, beschränke ich mich auf wenige Bemerkungen
über das Eigene und das Fremde. Die Ergebnisse der vergleichenden Verhaltensforschung zei-

6 Wolf Oschlies: Wir leben im Jahrhundert von Flucht und Vertreibung. In: Das Parlament Nr. 31-32
(1995) S. 1.

7 Bade (wie Anm. 4) S.16.

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