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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0069
Der süddeutsche Weltklerus im 16. Jahrhundert

Hand. Solchermaßen begegnet uns die Wirtshaus-Schlägerei landauf landab als das häufigste
Kriminaldelikt7.

Ganz analog stellen sich uns die Gepflogenheiten beim Essen, Trinken und Festefeiern dar.
Zu gegebenen Anlässen zechten und schlemmten die Menschen ungezügelt, hemmungslos, tagelang
und in unfaßbar großen Mengen. So liest sich denn die Speisefolge eines durchschnittlichen
Festessens der damaligen Zeit wie die mehrseitige Menü-Karte eines heutigen Gastronomiebetriebes
der gehobenen Klasse. Fünf, sechs und noch mehr Gänge galten als durchaus üblich
, wobei ein jeder »Gang« in sich eine vollständige Mahlzeit darstellte: Er enthielt mehrere
Fleischsorten, dazu Fisch, Geflügel und Wild, daneben reiche Zukost an Teigwaren, Gemüse
und Früchten; Suppen und Süßspeisen rundeten die einzelnen Eß-Etappen ab.

Beim Trinken kannte man ebenfalls keine Einschränkungen - allenfalls die, welche der
Geldbeutel setzte. Adel und Fürsten gingen mit schlechtem Beispiel voran; am sächsischen
Hof etwa bildete das stetig Vollsein ein alt eingewurzelt Übung und Gewohnheit.

Nach einer guten Weinernte im Rheinland lagen die Betrunkenen wie die Schweine auf den
Straßen und hinter den Hecken. Unter den Studenten gehörte die Kneiperei ohnehin zum Lebensstil
; doch auch die Bauern pflegten gehörig zu zechen. Die Zimmerische Chronik nennt
es einen bösen Brauch, daß die Landleute nächtelang bei Suff und Spiel zubrächten8.

Ein fast alle Grenzen hinter sich lassendes Uberborden und Überschäumen zeigt sich uns
des weiteren im Bereich der Kleidung. Hier bietet sich während der Reformationszeit ein Panorama
überwältigender Pracht. Vorzug fand alles, was in die Augen sprang - leuchtende Farben
, schrille Muster, bunte Gewandung, auffallende Formen, Üppigkeit des Schmucks, des
Besatzes, der Bänder, Schleifen und Zierstiche, der Knöpfe, Borten und Rüschen - aufwendig
und kostbar die Schnallen, Gürtel und Fibeln, die Ringe, Spangen, Reifen und Nadeln, die
Paspeln, Halsketten, Federbüsche und Perlenschnüre, in maßloser Vielfalt erscheinen die
Hauben, Schleier, Hüte, Kappen, Barette, Mützen, Kränze und Kapuzen - kurz: Wo man hinschaut
, ein kaum vorstellbares Ausmaß an Gepränge9.

So sehr die frühneuzeitlichen Menschen sich dem Kleiderluxus hingaben, so wenig Hemmungen
hatten sie, sich ihrer Gewänder öffentlich zu entledigen. Die Köchinnen und Waschfrauen
arbeiteten ohne Blusen und Mieder, wenn es ihnen zu heiß wurde. In den Badstuben
tummelten sich Weiblein und Männlein kunterbunt ohne jede Regel durcheinander in den Zubern
und Wannen10, und wer nicht allzu weit zum nächsten Badhaus hatte, der ließ die Kleider
bei warmem Wetter ganz einfach zu Hause11.

Bei den allfälligen Festumzügen gehörte Frau Venus zum Standardprogramm der dargestellten
Personen - selbstredend zeigte sie sich so, wie Gott sie geschaffen hatte. Beim gerne
geübten Tanzvergnügen der Bauern zählte das Drehen und Hochwerfen der jungen Mädchen
zum Grundrepertoire der Tanzfiguren - dadurch sollten sich die Röcke heben, unter denen
freilich keine Unterwäsche getragen wurde12.

Dieses doch recht freie und ungebundene Verhältnis zur Körperlichkeit äußerte sich auch
im Hinblick auf die Körperausscheidungen.

7 Beispielsweise Stadtarchiv Ulm A 3531 (Register zu den Ratsprotokollen) unter »Verwundungen«.
Auch die Lebensbeschreibungen des Götz von Berlichingen geben ein äußerst plastisches Bild von der
weit verbreiteten Rauflust in der Reformationszeit.

8 Ernst Walter Zeeden: Deutsche Kultur in der Frühen Neuzeit. Frankfurt/M. 1968, S. 177-182.

9 Ebd. S. 163-167. - Bernd Roeck: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der frühen Neuzeit (Enzyklopädie
deutscher Geschichte Bd. 9). München 1991, S. 28f.

10 Zeeden (wie Anm. 8), S. 282. - Roeck (wie Anm. 9), S. 104.

11 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Peter Thaddäus Lang in: Hans-Eugen Specker (Hg.): Stadt und
Kultur (Stadt in der Geschichte Bd. 11). Sigmaringen 1983, S. 153.-Roeck (wie Anm. 9), S. 103.-Norbert
Elias: Über den Prozeß der Zivilisation 1. Bd. Frankfurt/M. 1989, S. 223.

12 Peter Thaddäus Lang: Die Kirchenvisitationsakten des 16. Jahrhunderts und ihr Quellenwert. In:
Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 6 (1987), S. 133-153, hier 144. - Roeck (wie Anm. 9), S. 30.

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